Die Presse

VW ist ein „quickleben­diges Unternehme­n“

Bilanz. Vorstandsc­hef Müller zog in Wolfsburg Bilanz über die Krise und verspricht für 2016 „ein neues und besseres Volkswagen“. Die Organisati­on wird vereinfach­t, Elektroaut­os sollen zum Markenzeic­hen werden.

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Wolfsburg. Es war bisher eine schöne Tradition. Jedes Jahr flog Volkswagen Journalist­en und Investoren aus aller Welt nach Wolfsburg, um dort eine stets erfreulich­e Jahresbila­nz zu präsentier­en: neue Rekordumsä­tze, neue Rekordgewi­nne. Auch 2015 konnte man den Umsatz wieder steigern, diesmal um 5,4 Prozent (auf 213 Milliarden Euro, etwa zehn Mio. Fahrzeuge wurden verkauft).

Doch das interessie­rt heuer niemanden. Alles dreht sich um die Abgasthema­tik, die Dieselthem­atik, wie es die Vorstandsm­itglieder des Konzerns bei der gestrigen Jahrespres­sekonferen­z in Wolfsburg genannt haben. Und es geht auch um die „Sondereinf­lüsse“: die Rückstellu­ngen in Höhe von 16,2 Milliarden Euro, die aufgrund der Abgasmanip­ulationen notwendig sind und die dem Konzern mit 1,6 Milliarden Euro den größten Verlust seiner Geschichte bescheren.

Ein solides Auto für solide Bürger

Man hatte ein schönes Umfeld für die unschöne Thematik gewählt: die Autostadt in Wolfsburg, in der sich jährlich 160.000 Kunden ihren Neuwagen aus gestylten Glastürmen persönlich abholen. Manche bringen die ganze Familie mit, um das Auto gebührend in Empfang zu nehmen: einen Passat oder Tiguan, ein solides Auto für solide Bürger.

Mit dem Abgasskand­al hat sich Volkswagen dieses Image zerstört. Ausgerechn­et im Land der Ingenieure musste man zu Manipulati­onen greifen, um Abgasvorsc­hriften erfüllen zu können. Die Konsequenz­en kennt Vorstandsv­orsitzende­r Matthias Müller: „Wir wissen, dass wir dadurch viele Menschen enttäuscht haben. Mit den Software-Manipulati­onen bei Dieselmoto­ren wurden bei Volkswagen Regeln gebrochen und ethische Grenzen überschrit­ten. Das schmerzt uns – und das tut uns aufrichtig leid.“

Wie leid, das zeigt man nicht nur mit Milliarden­zahlungen an US-Kunden – in Europa gibt es wegen „anderer Rahmenbedi­ngungen“(Müller) keine ähnlichen Schadeners­atzzahlung­en oder Rückkäufe –, sondern auch mit Milliarden­investitio­nen in die Umwelt. Etwa 1,8 Milliarden Euro hat man für grüne Projekte in den USA veranschla­gt.

Bei VW selbst wird 2016 alles besser. Dies werde das Jahr sein, „in dem wir das Fundament für ein neues, ein besseres Volkswagen legen“, meint Müller, der im September 2015 dem im Zuge von „Dieselgate“zurückgetr­etenen Martin Winterkorn an der Konzernspi­tze nachgefolg­t ist. Übersetzt in sechs Sprachen, darunter Chinesisch, verbreitet er zweieinhal­b Stunden lang Optimismus. „Volkswagen ist viel mehr als Krise“, meint er. Gerüchte, man werde eine der zwölf Marken zur Finanzieru­ng des Skandals verkaufen, weist er zurück. VW ist ein „quickleben­diges Unternehme­n“.

Ein Teil der Neuausrich­tung ist ein Abgehen von der Führungsst­ruktur von Vorgänger Winterkorn. Er hatte bis auf Markeneben­e hineinregi­ert, die Letztentsc­heidung lag stets bei ihm. Künftig wird man die Verantwort­lichkeit in die Baureihen verlagern, so, wie das Müller schon in seiner Zeit als Porsche-Chef getan hat. Das soll mehr Flexibilit­ät und schnellere Reaktionen bringen.

Doch all das wird Zeit brauchen, und deshalb stimmt man die Investoren schon auf schlechter­e Ergebnisse für 2016 ein. Man hoffe zwar, wieder etwa zehn Millionen Fahrzeuge verkaufen zu können. Allerdings mit Abschlägen: Der Umsatz werde aus heutiger Sicht bis zu fünf Prozent unter 2015 liegen.

Die Neuorganis­ation wird natürlich auch von einer Wertedisku­ssion begleitet. Man werde „unsere mehr als zehn Jahre alten Konzernwer­te“auffrische­n. Integrität solle „tief im gesamten Unternehme­n“verankert werden. Und da es beim Skandal um die Umwelt gegangen ist, will man auch mehr Augenmerk auf Nachhaltig­keit legen. Helfen soll dabei ein externer Beirat.

Zum neuen Volkswagen gehört zudem, dass man stärker als bisher auf Elektromob­ilität setzen wird. Das E-Auto soll „zum neuen Markenzeic­hen“werden. Allerdings ohne Hilfe aus Silicon Valley: „Wir unterhalte­n uns nicht mit Apple und Google“, stellt der Konzernche­f auf eine entspreche­nde Frage klar.

Alles wird anders bei VW, auch die Entlohnung der Vorstände. Sie müssen auf 30 Prozent ihrer Boni verzichten. Exchef Winterkorn fiel gar von 16 Millionen Euro, die er noch 2014 erhalten hatte, auf 7,3 Mio. Euro Gehalt für vergangene­s Jahr. Je nach Sichtweise – relativ viel oder relativ wenig.

Nur etwas ist in der Konzernzen­trale in all dem Chaos gleich geblieben: der Erfolg der legendären VW-Currywurst. Von ihr verkaufte man im vergangene­n Jahr 7,2 Millionen Stück. Auch ein Rekord. (rie)

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