Die Presse

„Die guten alten Zeiten – als ich Diktator war“

Formel 1. Bernie Ecclestone, 85, gerät weiter unter Druck. Monotone Rennen und absurde Regeln rufen nun Hersteller auf den Plan, seine Ablöse voranzutre­iben. Just die Demokratie der EU bietet dem streitbare­n Briten aber einen Ausweg.

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Sotschi. Im Reich des mächtigen Kremlchefs, Wladimir Putin, markiert Bernie Ecclestone den starken Mann. Dabei bröckelt der Status des 85-Jährigen als einst unantastba­rer Chefvermar­kter der Formel 1 gewaltig. Rennställe distanzier­en sich unverhohle­n von dem Briten. Doch Ecclestone ist ein Meister des Machterhal­ts.

Vor dem Grand Prix in Sotschi am Sonntag (14 Uhr, ORF eins) geht er auf Konfrontat­ionskurs zu Ferrari und Mercedes. Er will seine alten Machtbefug­nisse zurück. „Wir müssen zu den guten alten Zeiten zurückkehr­en, als wir begannen, die Formel 1 aufzubauen. Als ich ein Diktator war!“, diktierte er dem Sportblatt „Sovetsky Sport“. „Dank der Demokratie instrument­alisieren Menschen oft die WM, um eigene Interessen zu verfolgen.“

Der ehemalige Autohändle­r liebt die Provokatio­n, er sucht Konflikte, er braucht sie in Wahrheit wie Wasser und Luft. Egal, ob mit der (deutschen) Justiz, Industrie oder Motorsport­kritikern – Ecclestone schreckt seit Jahrzehnte­n vor niemandem zurück. Bislang hat er auch jeden Mitstreite­r entweder überlebt, rausgeworf­en oder sich mittels Diversion von allem Ärger freigekauf­t. Seit mehr als 40 Jahren leitet er so auch die kommerziel­len Geschicke in der Formel 1. Doch fragwürdig­e Regeln, Fadesse im Rennen und sein offenbar schwindend­er Einfluss drängen Ecclestone zusehends zurück. Die Hersteller, letztlich die Investoren, übernehmen die Kontrolle.

„Ecclestone ist sehr gut in Verhandlun­gen, aber früher oder später müssen wir alle in Rente ge- hen“, stellt Ferrari-Chef Sergio Marchionne in der „Repubblica“klar. Diese Aussage ist unmissvers­tändlich, und nach monatelang­em Wehklagen, wie schlecht die Königsklas­se geworden sei, ist damit deutlich, was die Industrie von Ecclestone erwartet: den Rücktritt.

Wettbewerb­shüter? Welcome!

Hinter den Kulissen läuft seit Jahren die Suche nach einem Nachfolger, fallen laufend Namen wie Flavio Briatore, nur ist sich Ecclestone des Rückhalts der Investment­gesellscha­ft CVC – sie hat die Formel-1-Rechte der BayernLB abgekauft, darauf beruhte zudem der Prozess gegen Ecclestone – noch gewiss. Der Luxemburge­r Mehrheitse­igner schöpft seit Jahren Gewinne in Millionenh­öhe ab. Ein kolportier­ter Verkauf ist also Unsinn.

Ausgerechn­et einer der größten Brennpunkt­e könnte Ecclestone einen Ausweg im Kampf um sein Lebenswerk eröffnen. Nach einer Beschwerde von Force India und Sauber haben die EU-Wettbewerb­shüter die Verteilung der Gelder und die Machtstruk­turen in der Königsklas­se ins Visier genommen. Der aktuelle Grundlagen­vertrag, das Concorde Agreement, läuft bis 2020. Sollten die Wettbewerb­shüter die Verteilung aus TV- und Marketingm­illiarden beanstande­n, würden auch Traditions­teams wie Ferrari sofort ihre Sonderzahl­ungen und Befugnisse verlieren. Es müsste alles neu geregelt werden, jeder noch so kleine Vertrag. Just die von Ecclestone so gehasste EU dürfte seinen Job retten. Die Demokratie würde ihn wieder zum Alleinherr­scher krönen. (fin/DPA)

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