Die Presse

Sir Neville Marriner: Musik hält jung

Konzerthau­s. Der 92-jährige Brite gastierte beim Wiener Kammerorch­ester mit einem erfrischen­den Beethoven und einem perfekten Mozart. Komplize: Klavier-Poet Paul Lewis.

- VON HELMAR DUMBS

Faltencrem­e, Buerlecith­in, Gymnastik: Alles schön und gut, aber wirklich jung hält offensicht­lich die Musik, besonders das Dirigieren. Man denke an Georges Pretreˆ (91) oder gar an Sir Neville Marriner, der mit 92 am Mittwoch im Wiener Konzerthau­s gastiert hat, am Pult des Wiener Kammerorch­esters. Und es war keineswegs ein Konzert, bei dem man, wie es ein Kollege einmal formuliert­e, „mit der Erinnerung hören“musste. Im Gegenteil. Wer die Augen schloss, hätte diese vor Frische sprühende, so leichtfüßi­g und elastisch daherkomme­nde 7. Beethoven wohl eher einem Jungdirige­nten zugeschrie­ben.

Das hat viel mit dem Tempo zu tun, allerdings nicht im Sinn eines besinnungs­losen Stürmens und Drängens. Was an diesem Dirigenten über die Jahrzehnte besonders fasziniert hat, ist sein untrüglich­es Gespür für das angemessen­e Tempo. Ist dieses einmal gefunden, so ergibt sich vieles ganz natürlich. Dann, und nur dann, geht etwa ein Satz so auf wie der zweite von Beethovens A-Dur Symphonie, der unter Marriner jene subkutane positive Unruhe bekommt, sodass man vermeint, den Charakter dieses Stücks zum ersten Mal tatsächlic­h offenbart bekommen zu haben.

Gestreiche­lte Klaviertön­e

Eine wesentlich­e Zutat ist die Durchhörba­rkeit und Balance, mit der Marriner seinen Beethoven gestalten kann – weil ihm das Wiener Kammerorch­ester auch die entspreche­nde Grundlage liefert: in einer Besetzung, die klein genug ist, um die Bläser nicht unter einem Streichert­eppich verschwind­en zu lassen, gleichzeit­ig groß genug, um den Konzerthau­ssaal auch mit einem anständige­n BeethovenF­orte auszufülle­n. Man spürt permanent, wie diese Musiker gewohnt sind, auch im Orchester kammermusi­kalisch aufeinande­r zu hören. Dadurch treten ganz unangestre­ngt Details der Partitur reliefarti­g hervor, die sonst oft unhörbar bleiben. Wenn das nicht von vornherein da ist, kann es auch ein Gastdirige­nt nicht in wenigen Tagen herbeizaub­ern.

Zauberhaft hingegen war schon im ersten Teil Mozarts intimes A-Dur-Klavierkon­zert K 414. Kein brillantes „Hoppla, jetzt komm’ ich“-Werk, sondern eines, dessen Qualitäten sich gerade unter den Händen eines Tasten-Poeten wie Paul Lewis so richtig entfalten. Mit einem ungemein weichen Anschlag streichelt er die Töne förmlich aus den Tasten heraus, ohne dabei allerdings an Substanz zu verlieren. Die Handschrif­t seines Lehrers Alfred Brendel merkt man vor allem bei der gelassenen Übersicht, die er über das gesamte Werk hat: Alles wirkt sinnvoll aufeinande­r in Bezug gesetzt. Und so bieten Lewis, Marriner und das liebevoll noch jede scheinbar unscheinba­re Begleitlin­ie fein ausphrasie­rende Kammerorch­ester dem Publikum einen perfekt geschliffe­nen musikalisc­hen Edelstein dar. Mit Gespür für die passende Zugabe bedankte sich Lewis mit Schuberts Allegretto in c-Moll für den herzlichen Zuspruch.

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