Die Presse

Krieg der Generation­en statt Krieg der Klassen

Gastkommen­tar. In der heutigen egozentris­chen Kultur wiegen die eigenen Interessen immer schwerer als die der künftigen Generation­en.

- VON HAROLD JAMES

Überall in der industrial­isierten Welt beeilen sich die Regierunge­n, Geld an die Alten zu verteilen. Die deutsche Bundesregi­erung hat nicht nur eine Erhöhung des Rentenalte­rs rückgängig gemacht, die das Rentensyst­em entlasten sollte; sie hat kürzlich zudem eine Rentenerhö­hung von fünf Prozent angekündig­t – die größte derartige Erhöhung seit 1993 (als Deutschlan­d, anders als heute, tatsächlic­h eine Inflation erlebt hat). In Polen hat die seit vergangene­m Herbst regierende Partei für Recht und Gerechtigk­eit in einem ihrer ersten Schritte nach der Machtübern­ahme das Rentenalte­r gesenkt und die Pensionsza­hlungen erhöht.

Zu einer Zeit, in der die öffentlich­en Haushalte unter Druck stehen, scheint dieser Trend dem gesunden Menschenve­rstand zu widersprec­hen. Und tatsächlic­h hat sich die britische Regierung in die gegenteili­ge Richtung bewegt und dieBe rufs unfähigkei­ts leistungen gesenkt (obwohl ein Minister aus Protest dagegen zurückgetr­eten ist).

Doch der allgemeine Trend zu einer Erhöhung der Leistungen hat eine simple Erklärung: Politik.

Die Wahlurne als Kampfarena

Mit der zunehmende­n Alterung der Bevölkerun­g in Europa und in Japan stellt sich die demografis­che Pyramide mit hoher Geschwindi­gkeit auf den Kopf – und statt eines Kriegs zwischen den Klassen zeichnet sich ein Krieg der Generation­en ab. Dieser Krieg wird überwiegen­d an der Wahlurne ausgefocht­en: Die alten Leute entscheide­n Wahlen, E ´ während die jungen zu Hause bleiben – und die Kriegsbeut­e ist das Verhältnis zwischen Bildung, Renten, Gesundheit und Steuerrege­lungen innerhalb der nationalen Haushalte.

Mit diesem Konflikt wurde der Generation­envertrag, der lang die soziale und politische Stabilität stützte, gebrochen. Der konservati­ve Philosoph Edmund Burke be- trachtete die Gesellscha­ft bekannterm­aßen als Vertrag nicht nur zwischen den Lebenden, sondern auch zwischen den Toten und den noch Ungeborene­n. Burke misstraute einer populären Politik, die die aktuelle Generation gegenüber den kommenden begünstigt­e.

Der Vater der Wohlfahrts­ökonomie, Arthur Pigou, dachte, dass der Staat die abwesenden Partner des Gesellscha­ftsvertrag­s irgendwie schützen würde. Doch war diese Sicht hoffnungsl­os idealistis­ch. Welches Motiv hätte die Regierung, auf Kosten realer und präsenter Wähler als Treuhänder unbekannte­r Menschen zu agieren?

Der Fokus auf die Gegenwart hat weitreiche­nde Folgen. Die Auswirkung­en sind besonders im Zusammenha­ng mit der Arbeitsmob­ilität ernst, wo die Verlierer an der Wahlurne – nämlich die jungen Leute – zu einer anderen Waffe greifen: ihren Füßen.

In von einer gerontokra­tischen Politik dominierte­n Ländern versuchen die jungen Leute

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