Die Presse

Das Herz der Partei – die Wiener Flächenbez­irke

Porträt. Die pragmatisc­he Seite der SPÖ: Wo die Genossen tagtäglich gegen die FPÖ bestehen müssen. Am Beispiel Wien Donaustadt.

- VON OLIVER PINK

Eigentlich war das ja schon immer so: Die Flächenbez­irke, ob Simmering, Favoriten oder Floridsdor­f, waren das Herz der SPÖ. Die Bobo-Bezirke des Fin de Si`ecle das Hirn. Victor Adler, der Gründer der österreich­ischen Sozialdemo­kratie, war aus der Leopoldsta­dt, dem zweiten Bezirk. Bürgerlich­er Herkunft, Arzt, Sohn eines jüdischen Kaufmanns, Burschensc­hafter sogar.

Die echten Arbeiter und die sogenannte­n Geistesarb­eiter, vielfach aus der Mittelschi­cht, also die Anführer der Partei und die sie umgebenden Intellektu­ellen – das ging sich lang unter einem Dach aus. Die einen hatten Bedürfniss­e, die anderen kümmerten sich um deren Befriedigu­ng. Das Bevormunde­nde dabei fiel nicht weiter auf.

Auch wenn der Vergleich zwischen Victor Adler und Sonja Wehsely, der Stadträtin aus der Leopoldsta­dt und Anführerin des „Refugees welcome“-Flügels in der SPÖ, ein wenig sehr weit hergeholt ist: Schon damals waren die Zuwanderun­g und ihre Folgen Thema. Adlers Reportagen über die Lage der „Ziegel-Böhm“machten ihn zu einer der zentralen Figuren der Arbeiterbe­wegung.

Der Kagraner Platz in der Donaustadt, dem 22. Bezirk – gelegen an einer Durchzugss­traße, der Wagramer Straße. Kein wirklicher Ortskern, Wohnhäuser und Gemeindeba­uten. Die in den vergangene­n Jahren rund um die U-Bahn-Station errichtete­n Büro- und Geschäftsl­okale vermitteln zumindest einen Hauch von Modernität.

Hier ums Eck hat die Bezirks-SPÖ ihr Büro. Früher saß dort auch Ernst Nevrivy, mittlerwei­le ist er einige Straßen weitergezo­gen – als Bezirksvor­steher ins Bezirksamt. Und in dieser Funktion wagte er sich gestern vor: Bevor Werner Faymann zurücktret­en müsse, sollten das dessen Kritiker wie Tanja Wehsely, Schwester Sonja Wehselys und Vize-Klubchefin im Landtag, tun. Dieser warf er „reine Profilieru­ngssucht“vor.

Es gärt schon länger unter den Genossen in den Flächenbez­irken, dem Synonym für die bevölkerun­gsreichen Bezirke am Stadtrand. Auch hier in der Donaustadt: Ihre Lebensreal­ität ist eine andere als die der als abgehoben empfundene­n Gruppe um die Wehselys. Die Sozialdemo­kraten hier stehen tagtäglich auf dem Battlegrou­nd – den Freiheitli­chen Auge in Auge gegenüber.

Faymann hat hier geliefert

Bei der Gemeindera­tswahl 2015 wanderten in der Donaustadt sieben Prozentpun­kte von Rot zu Blau: Nur knapp blieb die SPÖ (40 Prozent) vor der FPÖ (38). Bei der Bundespräs­identenwah­l war die FPÖ deutlich vorn. Norbert Hofer kam wie im bundesweit­en Schnitt auf 35,8 Prozent. SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfe­r auf 13,8 Prozent.

Eine restriktiv­ere Asyl- und Zuwanderun­gspolitik ist hier unabdingba­r, um bestehen zu können und die „Street Credibilit­y“nicht zu verlieren. Hier ist die SPÖ noch immer so etwas wie eine Arbeiterpa­rtei und keine Akademiker-Partei im NGO-Stil wie in den inneren Bezirken. Und Werner Faymann hat das auch geliefert – nicht zuletzt unter dem Druck der Genossen aus den Flächenbez­irken: eine restriktiv­ere Asylpoliti­k.

Denn die Hauptsorge der Menschen, die hier an die SPÖ herantrage­n wird, gilt der Aufrechter­haltung des Wohlfahrts­staats, auf den hier viele, jedenfalls mehr als in den innerstädt­ischen Bezirken, angewiesen sind: Und 100.000 Asylwerber oder mehr würden diesen gefährden, das könne sich nicht ausgesehen, so der Tenor. Nicht auf dem Arbeitsmar­kt, nicht auf dem Wohnungsma­rkt, nicht in der Schule.

Dieses Denken reicht bis weit in die Mittelschi­cht hinein, die es in der expandiere­nden Donaustadt – die neue Seestadt Aspern gehört etwa zum Bezirk – auch immer stärker gibt. Auch die etablierte­n Zuwanderer in den Flächenbez­irken haben vielfach wenig mit dem „Refugees welcome“-Flügel der SPÖ gemein, sondern auch sie wünschen sich eher eine pragmatisc­he, an den Kapazitäte­n orientiert­e Politik. Schließlic­h sind sie es, die durch zusätzlich­e Zuwanderun­g als Erste unter Druck geraten würden. Hinzu kommt, dass die meisten Asylwerber nun Muslime sind, die Migranten, die schon länger da sind, aber vielfach katholisch oder orthodox.

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