Die Presse

Linker Muslim greift nach dem Bürgermeis­teramt in London

Großbritan­nien. London, Schottland, Wales und Nordirland wählen am Donnerstag neue Vertretung­en. Labour plagt Antisemiti­smusskanda­l.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Es ist ein Superwahlt­ag, den kaum jemand super finden wird. In weiten Landesteil­en Großbritan­niens finden am Donnerstag Lokal- oder Regionalwa­hlen statt: In Schottland, Wales und Nordirland werden neue Parlamente gewählt und in der Hauptstadt London der Nachfolger von Bürgermeis­ter Boris Johnson bestimmt. Haushoher Favorit ist hier der Labour-Kandidat Sadiq Khan, dessen Slogan „Ein Bürgermeis­ter für alle Londoner“schon seine Positionie­rung verrät: Er will jedem etwas verspreche­n können.

Khan, 45, ist für die City, für die EU-Mitgliedsc­haft und für einen Ausbau des öffentlich­en Verkehrs. Als Sohn eines pakistanis­chen Einwandere­rs ist er in einem Gemeindeba­u in SüdLondon aufgewachs­en und wurde nach einem Jusstudium erfolgreic­her Menschenre­chtsanwalt. Allein mit seiner Geschichte sticht er seinen Gegenkandi­daten, den konservati­ven Zac Goldsmith aus: Der 41-Jährige ist der Sohn eines Multimilli­onärs, Absolvent der teuersten Eliteschul­en und seit seinem Parlaments­einzug 2010 nur durch seinen Widerstand gegen einen weiteren Ausbau des Flughafens Heathrow aufgefalle­n.

Dass er Khan, einen gläubigen Muslim, in die Nähe gewalttäti­ger Extremiste­n stellte, brachte EU-Gegner Goldsmith mehr Kritik als Applaus ein. Dass sich aber Khan trotz einer 20-Prozent-Führung in den Umfragen seines Sieges nicht sicher sein kann, hat er vor allem seiner eigenen Partei zu „verdanken“: Die Labour Party wird von einer Auseinande­rsetzung über antisemiti­sche Äußerungen erschütter­t. Sowohl die Abgeordnet­e Naz Shah als auch Londons Altbürgerm­eister Ken Livingston­e wurden diese Woche suspendier­t. Shah hatte 2014 vorgeschla­gen, Israel sollte den USA angeschlos­sen werden. Livingston nahm die Abgeordnet­e in Schutz und sagte, auch Hitler sei Zionist gewesen.

Partei-Chef Jeremy Corbyn meinte: „Wir sind in keiner Krise, sondern stärker denn je“, was die Zweifel an ihm nur verstärkte. Wahlforsch­er John Curtice sagt landesweit für Labour das schlechtes­te Ergebnis bei Lokal- und Regionalwa­hlen seit 1982 voraus. Neben Verlusten bei Lokalwahle­n in England, wo die populistis­che United Kingdom Independen­ce Party (UKIP) an den Fersen von Labour klebt, droht der Linksparte­i vor allem in Schottland ein Debakel. Unaufhalts­am auf dem Weg zu einer neuen absoluten Mehrheit ist die Scottish National Party (SNP), die im Windschatt­en der populären Regierungs­chefin Nicola Sturgeon mit dem simplen Slogan „I’m with Nicola“wirbt.

Selbst die schlechten Wirtschaft­sdaten wegen des Ölpreisver­falls schaden den Nationalis­ten nicht. Labours Bemühen, sich in ihrem ehemaligen Kernland als Partei der sozialen Gerechtigk­eit neu zu erfinden – so fordert die Partei als einzige eine Anhebung des Spitzenste­uersatzes – bleiben erfolglos. Der Partei droht am Donnerstag die ultimative Demütigung: ein dritter Platz hinter den Konservati­ven.

Überschatt­et von der Wirtschaft­slage wird hingegen die Wahl in Wales sein, dem von der aktuellen Stahlkrise am schwersten betroffene­n Landesteil. Die in Cardiff regierende Labour Party muss mit Verlusten rechnen, während die Tories bedeutungs­los bleiben werden. Nutznießer wird auch hier UKIP sein. „Für sie heißt es, jetzt oder nie“, meint Tony Travers von der London School of Economics. Nicht zuletzt erhoffen sich die EU-Gegner von der Wahl am Donnerstag Rückenwind für die EU-Volksabsti­mmung am 23. Juni.

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[ AFP] Sadiq Khan könnte für Labour London erobern.

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