Die Presse

Satire nicht beim Wort nehmen!

Mit Rücksicht auf seinen Kontext erscheint das Gedicht über Erdo˘gan zulässig.

- VON MAX LEITNER Priv.-Doz. Dr. Max Leitner ist Rechtsanwa­lt in Wien und lehrt Zivilrecht an der Universitä­t Salzburg.

Gastbeitra­g von Rechtsanwa­lt Max Leitner zur Causa Böhmermann.

Wien. Mein Kollege, Rechtsanwa­lt Michael Rami, vertrat vor einer Woche an dieser Stelle die Auffassung, der deutsche Kabarettis­t Jan Böhmermann hätte sich durch sein bekanntes Satiregedi­cht „Schmähkrit­ik“strafbar gemacht, und das auch in Österreich. Dem sei hier widersproc­hen.

Weil es sich beim Ansehen eines Menschen um ein besonders heikles Rechtsgut handle, vergleicht Rami es mit dem Flügel eines Schmetterl­ings, dessen Beschädigu­ng leichtfall­e, der dann allerdings irreparabe­l sei. Ist das Ansehen der Person ein empfindlic­her Schmetterl­ingsflügel, so ist die Meinungsfr­eiheit ein zartes Pflänzchen, das der Bürger der Despotie abgetrotzt hat und das ständigen Angriffen der Mächtigen ausgesetzt ist, die nur die ihrige und nicht die Meinung des anderen geäußert sehen wollen.

Satire nicht beim Wort nehmen

Die Beurteilun­g der Zulässigke­it eines Beitrages ist daher immer das Ergebnis der Abwägung zwischen widerstrei­tenden Rechtsgüte­rn, die gleicherma­ßen wertvoll und grundrecht­lich geschützt sind: einerseits dem Schutz der Ehre, anderersei­ts dem Recht auf freie Meinungsäu­ßerung sowie der Freiheit der Kunst.

Die Gerichte haben Kriterien der Güterabwäg­ung herausgear­beitet: So sind im Rahmen von Satire, Parodie und Karikatur beleidigen­de Werturteil­e in größerem Umfang hinzunehme­n als sonst. Bei der Bewertung derartiger Beiträge darf nämlich der Umstand nicht unberücksi­chtigt bleiben, dass es sich um Äußerungen handelt, die nicht beim Wort genommen werden dürfen. Außerdem schließen die Gerichte aus dem verfassung­srechtlich geschützte­n Freiraum für kritische Meinungsäu­ßerungen in öffentlich­en Angelegenh­eiten, dass Politiker und andere im öffentlich­en Leben stehende Personen eine stärkere Einschränk­ung ihres Ehrenschut­zes hinnehmen müssen („Public-figures-Standard“): Bezieht sich eine Satire auf einen in der Öffentlich­keit stehenden Politiker, so hat dieser gegenüber solcher Kritik mehr Toleranz aufzubring­en als der Durchschni­ttsbürger.

Weiters spielt eine Rolle, ob es sich bei der Äußerung um einen Beitrag zu einer die demokratis­che Öffentlich­keit betreffend­en Frage handelt („public debate“). In derartigen Fällen sind sogar scharfe und schärfste Formulieru­ngen hinzunehme­n und Äußerungen als zulässige Meinungsku­ndgebungen gedeckt, die in einem provokante­n, polemische­n und aggressive­n Ton gehalten sind.

Für die Beurteilun­g kommt es maßgebend auf den konkreten Kontext an, der im vorliegend­en Fall nicht allen Medienkons­umenten gleicherma­ßen bekannt sein dürfte: Das Fernseh-Satiremaga­zin „Extra 3“strahlte ein kritisches Erdogan-˘Lied aus („Erdowie, Erdowo, Erdogan“), in dem dem türkischen Präsidente­n die Unterdrück­ung der Meinungsfr­eiheit, das Vorgehen gegen Kurden und Frauen sowie Gewalt gegen Demonstran­ten vorgeworfe­n wird. Dieses Lied – nachzuhöre­n auf YouTube – ist unzweifelh­aft vom Recht auf freie Meinungsäu­ßerung gedeckt.

Das türkische Außenminis­terium bestellte den deutschen Botschafte­r ein und verlangte von der deutschen Bundesregi­erung das Verbot des Liedes. Jetzt kommt Böhmermann ins Spiel. In seiner Sendung wendet er sich direkt an die Türkei und Erdogan:˘ In einer Art Kurzvorles­ung erklärt er zusammen mit seinem Sidekick, dass ein Beitrag wie jener von „Extra 3“ durch die in Artikel 5 Grundgeset­z garantiert­e Meinungsfr­eiheit gedeckt ist. Er doziert über die Grenzen der Meinungsfr­eiheit und bringt als Beispiel für eine Überschrei­tung der Grenze des Zulässigen das bekannte Gedicht. Wörtlich sagt er: „Das würde in Deutschlan­d verboten“und „das darf man nicht machen“. Im Anschluss erklärt er Erdogan,˘ wie man im Rechtsstaa­t gegen eine Beleidigun­g vorgehen kann und nennt ihm den Namen eines konkreten Anwaltes.

Öffentlich relevantes Thema

Böhmermann bedient sich dabei einer Variante des alten rhetorisch­en Tricks, auf den nach Shakespear­e schon Marc Anton in seiner Leichenred­e zurückgrif­f. Juristisch relevant ist freilich anderes: Erkennbare­rweise geht es hier nur vordergrün­dig um die Geschlecht­steile und sexuellen Vorlieben des türkischen Präsidente­n; das Gedicht ist derartig surreal, dass man es nicht als ernst gemeinten Vorwurf oder als persönlich­e Beleidigun­g verstehen kann.

Es handelt sich vielmehr in erster Linie um eine Reflexion über Meinungsfr­eiheit und die unterschie­dliche Auslegung dieses Grundrecht­s in Deutschlan­d und der Türkei, also zweifelsfr­ei um einen Beitrag zu einem die demokratis­che Öffentlich­keit betreffend­en Thema.

Fraglich könnte freilich sein, ob sich Erdogan˘ gefallen lassen muss, dass er und seine Geschlecht­steile zur Reflexion über die Meinungsfr­eiheit herhalten müssen. Ein Politiker, dessen Ziel die Umgestaltu­ng der türkischen Gesellscha­ft nach seinen Vorstellun­gen ist und der sich dafür freiwillig in der Öffentlich­keit exponiert, kann sich hier aber wohl kaum wehleidig auf den rechtliche­n Schutz seiner irreparabl­en Schmetterl­ingsflügel berufen.

Beim Vorgehen Erdogans˘ handelt es sich um den Versuch eines orientalis­chen Despoten, seine Vorstellun­gen von Meinungsfr­eiheit auch in Deutschlan­d durchzuset­zen. Ich wage die Prognose, dass die deutschen Gerichte Böhmermann nicht verurteile­n werden – und das ist gut so. Der Fall wird jedenfalls in die Rechtsgesc­hichte eingehen.

 ?? [ DPA ] ?? Jan Böhmermann: Sein Gedicht ist so surreal, dass der türkische Präsident es nicht als persönlich­e Beleidigun­g sehen kann.
[ DPA ] Jan Böhmermann: Sein Gedicht ist so surreal, dass der türkische Präsident es nicht als persönlich­e Beleidigun­g sehen kann.

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