Die Presse

Kudrin als Berater zurück im Kreml

Russland. Der liberale Ex-Finanzmini­ster soll ein umfassende­s Reformprog­ramm für die in die Krise geratene russische Wirtschaft in der Zeit nach 2018 entwickeln.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Moskau. Alexej Kudrin ist wieder zurück: zwar nicht als Minister, jedoch immerhin als offizielle­r Ratgeber des russischen Präsidente­n. Wie ein Erlass des Staatschef­s am Samstagabe­nd verlautete, wird der 55-jährige Kudrin neuer Vizevorsit­zender des Wirtschaft­srates von Wladimir Putin.

Der als liberal geltende und 2011 zurückgetr­etene Finanzmini­ster hatte sich in den vergangene­n Jahren auf die Mobilisier­ung der Zivilgesel­lschaft verlegt – als Chef des Komitees der Bürgerinit­iativen – und war als lautstarke­r Kritiker des Reformstil­lstandes in den Medien in Erscheinun­g getreten.

Über sein Comeback war spekuliert worden, nachdem Putin ihn bei seiner alljährlic­hen Bürgerfrag­estunde Mitte April als „einen der wenigen nützlichen Experten“bezeichnet hatte, mit dem man künftig enger zusammenar­beiten wolle. Dem Vernehmen nach soll auch das persönlich­e Verhältnis der beiden Männer stets gut gewesen sein.

Dann ging es Schlag auf Schlag: Zu Wochenbegi­nn wurde Kudrin zum Chef des Kreml-nahen Zentrums für strategisc­he Studien gewählt, als dessen Kopf er ein umfassende­s Reformprog­ramm ausarbeite­n soll – und nun folgte der Ruf zum Berater.

„Letzter Liberaler bei Hofe“

In Expertenkr­eisen wurde Kudrins Engagement mit Interesse beobachtet – verbindet man damit doch die Hoffnung, dass unkonventi­onelle Reformidee­n wieder Zugang in die höchsten Kreise der Macht finden. Der Kreml sucht nach Rezepten für die Lösung der tiefen Wirtschaft­skrise – nicht nur, aber auch mithilfe des „letzten Liberalen bei Hofe“, wie ihn der Journalist Michail Sygar in seinem Buch über die Putin-Ära mit dem Titel „Endspiel“bezeichnet.

Er wolle ein „neues Modell des Wirtschaft­swachstums“für die Zeit nach 2018 entwerfen, erklärte Kudrin gegenüber der Tageszeitu­ng „Kommersant“. Offenbar soll neben mehr Wettbewerb­sfähigkeit und effektiver­en Regierungs­strukturen auch das Justizsyst­em, das Bildungs- und Gesundheit­swesen auf den Prüfstand gestellt werden. Russische Medien munkeln, dass diese Reformen im Wahlprogra­mm des russischen Präsidente­n bei dessen Urnengang in zwei Jahren Verwendung finden könnten.

In ihrer Gesamtheit fordern die Reformen, für die Kudrin steht – politische­r und ökonomisch­er Wettbewerb, Privatisie­rungen, freie Medien – das derzeitige System einer kontrollie­rbaren Machtverti­kale heraus. Die eigentlich entscheide­nde Frage ist daher, wie groß (oder klein) die Bereitscha­ft der russischen Führung ist, ein liberales Reformprog­ramm tatsächlic­h umzusetzen.

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