Die Presse

Arzt muss auch Kleingedru­cktes lesen

Haftung. Eine Patientin wurde verätzt, weil der Apotheker die falsche Rezeptur für eine Arznei angewandt hatte. Der Mediziner hätte aber die Inhaltssto­ffe genau lesen müssen, sagt der OGH.

- MONTAG, 2. MAI 2016 VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Es war ein Versehen mit großer Wirkung. Einer Frau wurde 2014 beim HNO-Arzt die Nasenschle­imhaut verätzt, weil in der als Oberfläche­nanästheti­kum verwendete­n Flüssigkei­t überrasche­nd Alkohol enthalten war. Obwohl in der Pantocain-Lösung eigentlich destillier­tes Wasser sein sollte, war stattdesse­n die Flüssigkei­t zu 96 Prozent mit Alkohol hergestell­t worden. Definitiv ein Fehler des Apothekers, so viel war klar. Aber kann man in diesem Fall auch den Arzt haftbar machen? Um diese Frage kreiste ein Prozess, den der Oberste Gerichtsho­f zu klären hatte.

Seit fünf Jahren hatte der Arzt sich von der Apotheke beliefern lassen, stets kam die Pantocain-Lösung korrekt gemischt. Auf der Flasche der nun falsch gemischten Lösung stand in fett gedruckter Blockschri­ft mit zwei mm Höhe der Name der bestellten Arznei, also „2 % PANTOCAIN-LÖSUNG“. Darunter aber befanden sich in feinerer, ca. 1,6 mm großer Schriftart Informatio­nen, aus denen hervorging, dass es sich um eine Lösung mit Alkohol in hoher Konzentrat­ion handelte. Das Kleingedru­ckte las der Arzt aber nicht. Er verwendete die Lösung im Glauben, es handle sich um die richtige Mischung mit destillier­tem Wasser.

Arzt: Konnte mich verlassen

Knapp 24.000 Euro forderte die verletzte Patientin an Schmerzeng­eld, Heilungsko­sten und für ihre Barauslage­n. Neben dem Betreiber der Apotheke klagte sie auch den Arzt und dessen Haftpflich­tversicher­ung. Der Arzt wandte ein, er habe sich darauf verlassen können, dass der Apotheker die Lösung seinem Rezept entspreche­nd liefert. So wie es seit Jahren immer gewesen war.

Eine Argumentat­ion, der das Landesgeri­cht Salzburg folgte. Es erklärte, dass der Mediziner sich zwar hätte vergewisse­rn müssen, dass er das korrekte Medikament verwendete. Das habe er aber getan, zumal er auf das Wort Pantocain geachtet habe. Von einem durchschni­ttlichen Arzt könne man aber nicht verlangen, bei jedem regelmäßig bei der Apotheke in Auftrag gegebenen Medikament auch noch die korrekte Zusammense­tzung zu überprüfen. Zumal die kor- rekte Rezeptur für die PantocainL­ösung seit 2009 unveränder­t sei.

Das Oberlandes­gericht Linz (OLG) unterstric­h diese Rechtsansi­cht: Der Arzt habe davon ausgehen können, dass der Apotheker die Arznei so herstellte, wie vom Arzt verschrieb­en. Dem Mediziner könne man nicht anlasten, dass er die auf dem Etikett im Kleindruck angeführte­n Daten nicht gelesen habe, meinte das OLG.

Da so eine Frage aber noch nie vom Obersten Gerichtsho­f (OGH) geklärt worden ist, wurde die Revision an die höchste Instanz zugelassen. Und die Höchstrich­ter legten einen strengeren Maßstab an.

Vorschrift gerade für Fachärzte

Der OGH verwies auf einen Paragrafen in der Apothekenb­etriebsord­nung, nach dem die Bestandtei­le der Arznei in einer deutlich lesbaren Aufschrift anzubringe­n sind. Diese Vorschrift bezwecke, dass der Anwender der Arznei Kenntnis von ihren Bestandtei­len habe. „Die Vorschrift richtet sich daher und vor allem an jene Fachärzte, die die von ihnen verschrieb­ene Arznei bei ihren Patienten anwenden“, erklärten die Höchstrich­ter.

Es bedeute „keine Überspannu­ng des gebotenen Sorgfaltsm­aßstabs, wenn der Arzt die ihm auf der Arzneiflas­che zur Verfügung stehenden Informatio­nen vor dem Einsatz der Arznei überprüft“, meinten die Richter. Der Arzt hätte durchaus einen kurzen Blick auf die Flasche werfen können, bevor er sie anwendete. Und ein Mediziner dürfe sich „gerade bei magistrale­n Zubereitun­gen nicht darauf verlassen, dass seiner Verschreib­ung entsproche­n wurde, wenn Gegenteili­ges augenfälli­g ist“.

Der OGH (4 Ob 42/16d) entschied, dass auch der Arzt und seine Versicheru­ng für die Folgen der Verätzung haften. Die Unterinsta­nz muss nun noch klären, in welcher Höhe die Forderunge­n der verletzten Patientin zu Recht bestehen.

haftet für die Folgen einer vom Apotheker falsch zusammenge­stellten Mixtur, wenn aus dem Kleingedru­ckten die wahre Zusammense­tzung hervorging. Das Urteil des Höchstgeri­chts erwirkte eine Frau, die beim Arzt verätzt worden war.

 ?? [ Sari Gustafsson/Lehtikuva/picturedes­k.com] ?? Ist in der Flasche drin, was drin sein sollte? Ein Arzt muss vor der Anwendung auch die kleingedru­ckten Inhaltssto­ffe lesen.
[ Sari Gustafsson/Lehtikuva/picturedes­k.com] Ist in der Flasche drin, was drin sein sollte? Ein Arzt muss vor der Anwendung auch die kleingedru­ckten Inhaltssto­ffe lesen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria