Die Auseinandersetzung um die EU-Mitgliedschaft bewegt Großbritannien. Das Thema Einwanderung steht im Vordergrund. Probleme und Stimmungen könnten entscheidend sein, Fakten spielen oft nur eine Nebenrolle.
Brexit.
Der Zug aus der britischen Hafenstadt Skegness trifft pünktlich um 13.15 Uhr ein. Waldek und Anna steigen wie vereinbart in Boston aus. Er hat einen Rucksack, sie trägt eine Reisetasche. Für ein neues Leben ist das nicht viel. Nach wenigen Minuten rast ein weißer Lieferwagen mit der Aufschrift „Local Link Recruitment: Specialist for packhouse worker solutions“heran. Eine Frau springt heraus und gibt auf Polnisch Anweisungen: „Rasch. Einsteigen. Los!“
Großbritannien hat bei der EU-Erweiterung 2004 die Zuwanderung von 13.000 Menschen erwartet und daher auf Übergangsfristen für den Zugang zum Arbeitsmarkt verzichtet. Als Antwort auf diese Entscheidung
nach Großbritannien ist auf Rekordniveau geblieben: 2015 zogen 333.000 mehr Menschen ins Vereinigte Königreich als auswanderten. Im Vergleichszeitraum 2014 waren es mit 336.000 Menschen so viele wie nie zuvor gewesen. Die meisten Zuwanderer (184.000 Menschen) kamen 2015 ebenso wie 2014 aus anderen EU-Staaten. Die Zuwanderung aus der EU ist ein Argument der Befürworter eines EU-Austritts, über den am 23. Juni abgestimmt wird. kamen in den folgenden Jahren zahlreiche Osteuropäer nach Großbritannien – mindestens 3,1 Millionen Menschen sind es vorübergehend oder dauerhaft gewesen. Allein 2015 betrug die Nettozuwanderung 330.000 Menschen. Der Anteil von EU-Bürgern an der arbeitenden Bevölkerung (aktuell: 31,6 Mio.) stieg in zehn Jahren von 2,6 auf 6,8 Prozent.
An wenigen Orten ist die Konzentration dichter als in der Kleinstadt Boston in Lincolnshire, einem Zentrum der Agrarwirtschaft, mit etwa 70.000 Einwohnern. Der unersättliche Hunger nach billigen Arbeitskräften zieht die Menschen magnetisch an. Vor allem Junge, wie Maciej, der seit einem Jahr hier lebt: „Ich arbeite in einer Fabrik“, erzählt er. „In der Woche verdiene ich 300 Pfund. Ich versuche, so viel wie möglich zu sparen.“Maciej lebt mit anderen Polen in einem Haus. Die Miete für ein Zimmer beträgt 110 Pfund. Manche Unternehmen bringen ihre Arbeitskräfte auch in Wohnwägen unter, in denen bis zu sechs Menschen übernachten. Der Wagenpark ist mit Stacheldraht umzäunt.
„Es geht einfach nicht mehr“
Der Anteil der nicht in Boston geborenen Bevölkerung stieg bis zur jüngsten Zählung 2011 von praktisch null auf 13 Prozent. Blumenhändlerin Claire sagt: „Wir sind voll. Es geht einfach nicht mehr.“Zahllos sind die Klagen der Bewohner: Schulen und Ärzte