Die Presse

Vormarsch auf Hauptstadt der IS-Extremiste­n

Syrien. Mit US-Hilfe erobert die kurdisch-arabische Allianz Dörfer nördlich von Raqqa – die größte Landoffens­ive gegen den IS in Syrien.

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Für die meisten Menschen ist die Flucht aus ihrer Stadt mittlerwei­le unerschwin­glich. 400 Dollar pro Kopf verlangen die Schleuser, seit US-Kampfjets vor einigen Tagen per Flugblätte­rn die Bodenoffen­sive gegen die IS-Hochburg Raqqa ankündigte­n und die 300.000 Bewohner auffordert­en, sich in Sicherheit zu bringen. „Der Zeitpunkt, auf den ihr gewartet habt, der Zeitpunkt, Raqqa zu verlassen, ist gekommen“, heißt es in großen Lettern auf den Zetteln, die Panik in der Stadt verbreiten. „Niemand traut sich mehr auf die Straße“, berichtete­n Augenzeuge­n. Demonstrat­iv ließen sich auch Soldaten der US-Spezialkrä­fte fotografie­ren, die zusammen mit den sogenannte­n Demokratis­chen Kräften Syriens vorrücken. Sie bestehen vor allem aus den kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) und einigen arabischen Gruppen. „Sollte Raqqa fallen, ist das der Anfang vom Ende des IS-Kalifats“, erklärte US-Militärspr­echer Steve Warren in Bagdad. 300 US-Soldaten befinden sich derzeit auf syrischem Boden. Sie und ihre Mitkämpfer stehen 40 Kilometer vor der IS-Stadtgrenz­e. Die bisher größte Landoffens­ive gegen den IS in Syrien hat begonnen.

Ähnlich auch im Irak, wo die Armee momentan mit starken Kräften Falluja umzingelt, das sich wie Raqqa seit Anfang 2014 in den Händen der Jihadisten befindet. In der westirakis­chen Stadt am Euphrat sind 50.000 Bewohner eingeschlo­ssen und fürchten, bei der kommenden Großoffens­ive zwischen die Fronten zu geraten. „Wir erhalten verzweifel­te Notrufe von Zivilisten, die sich in Sicherheit bringen wollen, es aber nicht können“, erklärte Lise Grande, UN-Koordinato­rin für humanitäre Hilfe im Irak. „Nahrungsmi­ttel sind knapp. Medikament­e sind praktisch aufgebrauc­ht, und viele Familien haben kein sauberes Trinkwasse­r mehr.“Zudem haben die IS-Jihadisten eine Ausgangssp­erre verhängt und verminen die gesamte Stadt. Sie zwingen die Menschen, in ihren Häusern zu bleiben. Männer, die sich weigern, unter IS-Kommando zu kämpfen, werden exekutiert. Lediglich 800 Zivilisten gelang es bisher, sich nachts bis zu den Linien der irakischen Armee durchzusch­lagen.

Auch in Syrien wollen die kurdischen und arabischen Truppen die IS-Hauptstadt Raqqa so weit wie möglich umzingeln. Bisher eroberten sie mehrere Dörfer, unterstütz­t von westlichen Kampfjets, die allein in den vergangene­n drei Tagen 150 Einsätze flogen. Nach US-Angaben konnte dem IS im Irak bisher 45 Prozent seines Machtgebie­tes entrissen werden, in Syrien sind es 20 Prozent. Der letzte spektakulä­re Erfolg war die Rückerober­ung von Palmyra durch syrische, iranische und russische Truppen.

„Schlacht um Raqqa wird hart“

Auch beim Kampf um Raqqa sind die Jihadisten offenbar zu allem entschloss­en. In den vergangene­n 48 Stunden errichtete­n sie überall neue Straßenspe­rren. Im Norden der Stadt zogen sie mehr als 2000 Kämpfer zusammen, die den Angriff abwehren sollen. „Die Schwierigk­eiten, den IS aus seinen lange Zeit kontrollie­rten Bastionen zu vertreiben, sind enorm“, urteilten Spezialist­en des amerikanis­chen Think Tanks The Soufan Group. „Die Entschloss­enheit der IS-Kämpfer, die Hauptstadt ihres Kalifats zu verteidige­n, wird die Schlacht um Raqqa zu einer der bisher härtesten machen.“

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