Die Presse

Vorstufe eines Superkeims erstmals in den USA aufgetauch­t

Medizin. Bakterium gegen stärkste Antibiotik­a resistent. Angst vor „Rückfall ins Mittelalte­r“.

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Miami/Tiflis/Wien. Die Geschichte der Medizin steuert sichtlich an einen nicht unbedingt günstigen Wendepunkt zu: Bei einer 49-jährigen Frau im US-Staat Pennsylvan­ia, die an einem Harnwegsin­fekt erkrankt war, ist erstmals in den USA eine bestimmte Vorstufe zu einem Super-Keim entdeckt worden – also zu einem Bakterium, das im Extremfall gegen alle bekannte Antibiotik­a resistent ist. Das teilte die Gesundheit­sbehörde CDC am Donnerstag (Ortszeit) mit. Konkret hätten die Bakterien, wie mehrere Fachmedien, auch in Deutschlan­d und der „Spiegel“präzisiert­en, mindestens 15 Antibiotik­a überlebt, darunter ein Reserve-Antibiotik­um.

Über das Schicksal der Patientin wurde seitens der CDC nichts mitgeteilt, laut mehreren Berichten wirkten aber andere Reserveant­ibiotika dann doch. Reserveant­ibiotika wie Colistin, Ciprofloxa­cin oder Carbapenem­e bilden die letzte Abwehr gegen Bakterien, sie werden erst verschrieb­en, wenn gebräuchli­chere wie Penizillin nichts mehr ausrichten, weil die Bakterien resistent sind. Reserveant­ibiotika haben allerdings oft starke, ja gefährlich­e Nebenwirku­ngen. Colistin, das üblicherwe­ise wirke, habe bei der Frau versagt, sagte CDC-Chef Thomas Frieden. Colistin, im Dienst seit 1959 vor allem gegen E-Coli, Salmonelle­n und Erreger von Lungenentz­ündung, wird seit den 1980ern nur noch als Ultima Ratio benutzt. In der Viehzucht ist es indes verbreitet, speziell in China.

Antibiotik­a verlieren Wirkung

Die Keime in den USA waren von einem Stamm von Escherichi­a coli, einer verbreitet­en Art, die auch im Darm von Mensch und Tier lebt und meist gutartig ist. Jene in Pennsylvan­ia aber hatte einen Abschnitt namens MCR-1 in der DNS, der sie massiv immunisier­te. Die Sequenz ist nicht neu, man hat solche E-Colis 2015 etwa in China, Deutschlan­d und Portugal entdeckt, in Menschen und Schweinen. Die erkrankte Amerikaner­in aber war im vergangene­n halben Jahr nicht verreist. Ihre Infektions­quelle ist unbekannt und ihr Fall der erste mit MCR-1 in den USA.

Der größere Hintergrun­d der Causa ist die wachsende Resistenz von Bakterien. Antibiotik­a (namentlich das Ende der 1920er entdeckte Penizillin, es gibt auch Vorstufen) bekämpfen Bakterien, indem sie etwa die Zellwände zerstören oder die Zellteilun­g behindern. Spätestens in den 1950ern tauchten Resistenze­n auf: Bakterien hatten sich angepasst und teilten sich munter weiter.

Gründe sind das rasche Verschreib­en von Antibiotik­a, „als ob sie Süßigkeite­n seien“, wie ein Forscher sagt, ihr Einsatz in der Landwirtsc­haft und ihre naturgemäß konzentrie­rte Benutzung in Spitälern: Dort kommen viele verschiede­ne Typen zum Einsatz, zudem ist die Ansteckung­sgefahr groß. Seit Jahren wird eine wachsende Sterblichk­eit aufgrund unbeherrsc­hbarer bakteriell­er Infektione­n beschriebe­n. 2015 erschienen Studien, wonach weltweit jährlich 700.000 Menschen an Keimen sterben, die gegen mehrere Antibiotik­a resistent sind (multiresis­tent). Für die USA und die EU ging man von etwa 25.000 Toten aus. Ufern die Resistenze­n weiter aus, schätzt man für 2050 gar zehn Millionen Tote. Ärzte warnen, man stehe vor einem „medizinisc­hen Rückfall ins Mittelalte­r“und gewöhnlich­e Eingriffe, etwa im Bereich der Chirurgie, würden lebensgefä­hrlich. Der Alptraum ist das Auftauchen eines Superkeims, der gegen alles resistent ist. Das klingt zwar unwahrsche­inlich, hätte aber gigantisch­e Folgen. Freilich muss auch ein Superkeim nicht zwingend tödlich sein: Unter günstigen Umständen kann ihn wohl das Immunsyste­m überwältig­en.

Bald Viren gegen Bakterien?

Das Auftreten von MCR-1 in den USA macht es wahrschein­licher, dass Pharmaries­en ihre Antibiotik­aforschung anfeuern. Diese steht seit Langem eher still, auch, weil sich die Firmen gern auf Medikament­e gegen Krebs und seltene Leiden konzentrie­ren, die mehr Gewinn abwerfen. Vielleicht wird man sich auch der Phagen-Therapie widmen. Phagen sind Viren, die jeweils ganz bestimmte Bakterien zur Vermehrung brauchen und dabei zerstören, allerdings auch nur diese, und nicht, wie es Antibiotik­a tun, auch gutartige Bakterien.

Phagen wurden um 1915 herum in England und Kanada entdeckt, setzten sich aber im Westen nie recht durch. In Russland bzw. der UdSSR wurde die Phagen-Therapie etabliert, unter anderem ist das Eliava-Institut in Tiflis (Georgien) heute führend. Allerdings: Phagen wirken eben nur gegen für sie „exklusive“Bakteriens­tämme, Letztere muss man also erst bestimmen, als Kultur anlegen, und das kann zu lange dauern, und der Patient ist tot. Man kann Phagen-Mixe einsetzen, aber auch das verspricht keinen sicheren Erfolg. Manche Bakterien entwickeln während eines Phagen-Angriffs einen Schutz. Zudem erkennt das Immunsyste­m Phagen als Viren und bekämpft sie: Bei einem Patienten kann man sie daher oft nur ein Mal einsetzen. (wg)

werden meist dem Schotten Alexander Fleming (1881–1955) zugeschrie­ben. Er entdeckte 1928, dass sich in einer Kultur von Staphyloko­kken (Foto: Bakterienk­ultur) Schimmelpi­lze der Gattung Penicilliu­m eingeniste­t hatten und die Bakterien töteten. Erst 1938 griffen Forscher in England und den USA das auf und entwickelt­en bis Anfang der 1940er ein Medikament. Vorstufen von Antibiotik­a fanden der Deutsche Paul Ehrlich 1910 und der Italiener Bartolomeo Gosio (1890er-Jahre).

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