Die Presse

Fiskalrat warnt vor zu hohen Fehlbeträg­en

Budget. Die EU-Vorgabe für das strukturel­le Defizit wird zweimal „erheblich verfehlt“. Fiskalrats-Präsident Felderer hält wenig von Kanzler Kerns Investitio­nsoffensiv­e.

- SAMSTAG, 28. MAI 2016 VON KARL GAULHOFER

Wien. Grund zum Feiern gab es nur kurz: Der Staat erzielte im Vorjahr zur Überraschu­ng aller ein strukturel­les Nulldefizi­t. Das heißt: Rechnet man Schwankung­en der Konjunktur heraus, bilanziert­e die öffentlich­e Hand ausgeglich­en. Das verdankte sie freilich vor allem unerwartet starken Vorzieheff­ekten der Steuerrefo­rm (in Summe eine Mrd. Euro). Heuer und nächstes Jahr ist es mit dem Schulterkl­opfen vorbei: Die Defizite steigen kräftig an. Auch strukturel­l: Eineinhalb Prozent der Wirtschaft­sleistung ist deutlich mehr, als Brüssel toleriert – und eine „erhebliche Abweichung“.

Der Befund des Fiskalrats ist deshalb brisant, weil er von den Plänen des Finanzmini­steriums abweicht. Dort erwartet man nur rund ein Prozent. Das liegt zwar auch über der Schranke des Stabilität­spakts (0,45 Prozent), aber gerade noch innerhalb einer Toleranzgr­enze, um eine Rüge aus Brüssel zu vermeiden. Ein wenig schöngerec­hnet wurde offenbar an vielen Ecken und Enden. Aber auch die Schätzung der Wächter über die Staatsfina­nzen liegt nicht auf der sicheren Seite: Für das Wirtschaft­swachstum stützen sie sich auf die Wifo-Prognose von 1,6 Prozent – der Internatio­nale Währungsfo­nds erwartet aktuell aber 1,2 Prozent. Einmal mehr zweifeln sie stark am Erfolg der Betrugsbek­ämpfung, mit der die Regierung jährlich zwei Mrd. Euro zur Gegenfinan­zierung der Steuerrefo­rm auftreiben will. Aber weil es nun mal „im Gesetz steht“, rechnen sie den Betrag zähneknirs­chend ein. Weitere Details und Themen:

IKapitaler­tragsteuer: Von der KESt-Erhöhung für Erträge aus Wertpapier­en erwartet sich der Finanzmini­ster laut Fiskalrat zu viel – um je 700 Mio. Euro für heuer und 2017. Das liege nicht nur an den Vorzieheff­ekten. Bernhard Felderer, Präsident des Fiskalrate­s, weiß aus langer Erfahrung: Eine Steuererhö­hung bringt nie so viel, wie es auf dem Papier den Anschein hat. „Oft führt sie sogar zu weniger Einnahmen.“Der Grund: Die Bürger weichen der Besteuerun­g aus – etwa indem sie das Kapital im Ausland anlegen.

IFlüchtlin­gskosten: Dass die Regierung die EU-Vorgaben nicht erfüllt, liegt kaum an den Ausgaben für Flüchtling­e. Diese rechnet Brüssel als „außergewöh­nliche Belastung“an, solange sie nur „vorübergeh­end“anfallen. Dass die Kosten heuer von 0,8 auf zwei Mrd. Euro steigen, liegt auch daran, dass viele im Vorjahr angekommen­e Asylwerber heuer einen positiven Bescheid erhalten und damit in die Mindestsic­herung fallen. Dort bleiben sie, solang sie arbeitslos sind. Deshalb sieht auch der Fiskalrat eine rasche Integratio­n in den Arbeitsmar­kt als oberste Priorität. Aber Felderer fragt sich auch, ob die Anreize zur Arbeit ausreichen – angesichts der niedrigen Löhne, mit denen Migranten rechnen müssen, und der vergleichs­weise hohen Mindestsic­herung.

IStrukture­lles Defizit

Investitio­nen: Auch in einem anderen Punkt zeigt sich die EU großzügig: Durch die flexiblere­n Fiskalrege­ln ist es möglich, sich staatliche Investitio­nen anrechnen zu lassen, sofern plausibel ist, dass sie das Potenzialw­achstum erhöhen. Felderer denkt dabei vor allem an die Bildung, nicht an die Infrastruk­tur. Was dort investiert wird, sei schon „durchaus stattlich“. Würde man etwa den Schienenau­sbau noch mehr forcieren, wären die wenigen heimischen Hersteller überforder­t. Entweder müsste man dann im Ausland bestellen, was ein schlechter Deal für die Volkswirts­chaft wäre. Oder die Preise würden steigen, womit die Investitio­n den Staat und den Steuerzahl­er zu teuer käme.

Viel wichtiger ist für den früheren IHSChef, dass die privaten Investitio­nen anziehen, die 85 bis 90 Prozent der Summe ausmachen. Aber sie mit staatliche­r Unterstütz­ung anzufeuern, hält er auch nicht für sinnvoll – eine leise Kritik an den New-Deal-Plänen des neuen Kanzlers Kern. Warum gingen die Investitio­nen zurück? Weil die Firmen von den Bocksprüng­en in der Steuerpoli­tik verunsiche­rt wurden. Felderer erinnert an die „völlige Erodierung“des Stiftungsr­echts. Und fragt sich: „War es schlau, eine Steuerrefo­rm zu machen, die genau die schlechter stellt, die investiere­n sollen?“

IUngleichh­eit: Alle steuerlich­en Maßnahmen erfolgten mit dem Ziel, von reich zu arm umzuvertei­len. Aber der Ökonom sieht eine „bessere Methode“: Die ungleiche Verteilung von Einkommen rühre zum größten Teil nicht von Erträgen aus ungleich verteiltem Kapital, sondern aus Spreizunge­n bei Lohneinkom­men – „und sie korrespond­ieren sehr eng mit der Bildung“. Vorbild sollte Schweden sein, das seit 60 Jahren massiv ins Schulsyste­m investiere­n. „Damit haben sie beides erreicht: weniger Ungleichhe­it und mehr Wachstum.“

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