Die Presse

Wiener Börse denkt nun westwärts

Kapitalmar­kt. Die Wiener Börse galt lange als das Tor nach Osteuropa. Mit dem neuen Vorstand soll sich das ändern. Erwartunge­n hat man auch an die Politik.

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Wien. Es gab mehr als 50 attraktive Bewerber. Am Montag dieser Woche hat sich der Aufsichtsr­at der Wiener Börse schließlic­h für Christoph Boschan als neuen Vorstandsv­orsitzende­n entschiede­n. Es war jedoch nicht der gebürtige Deutsche, der am gestrigen Freitag seine neue Strategie darlegte. Sondern der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende, Willibald Cernko, und sein Stellvertr­eter, Wienerberg­er-Chef Heimo Scheuch.

Mit Ende Mai laufen die Verträge der bisherigen Börse-Chefs, Birgit Kuras und Michael Buhl, aus. Die beiden werden nun von einem Dreiervors­tand ersetzt, den Boschan anführt. Und das gleich für einen Zeitraum von fünf Jahren. In der Vergangenh­eit kamen Börsevorst­ände stets aus dem heimischen Finanzsekt­or, die Börse gehört immerhin den Banken und den Unternehme­n. Das ist nun anders. Für Cernko kein Problem: „Wir wollen mit Kompetenz überzeugen, nicht mit Beziehunge­n.“Daher habe man jemanden ausgesucht, der durch seine Leistungen überzeuge. Boschan war bisher Geschäftsf­ührer der Börse Stuttgart und Vorstand des Finanzdien­stleisters Euwax.

Für die beiden Kapitalver­treter ist jedenfalls klar, wo die Reise des Marktplatz­es künftig hingehen soll: Die Wiener Börse wurde in der Vergangenh­eit stets als Tor zum Osten wahrgenomm­en, das soll sich nun ändern. Man wolle den globalen Fokus in den Vordergrun­d stellen und die Börse als europäisch­en Marktplatz definieren. Ein wohl längerer Prozess, wie auch Cernko sagt.

Vorarbeite­n dafür wurden bereits geleistet, wenngleich teils unfreiwill­ig. 2014 platzte die Fusion mit der Börse Warschau, mit der man lang Gespräche geführt hatte. Im Vorjahr trennte man sich schließlic­h von den Beteiligun­gen an den Börsen Laibach und Budapest. Übrig blieb die Börse Prag, die zu beinahe 100 Prozent im Eigentum der Börse Wien steht. Ändern soll sich daran nichts: „Auf Wien und Prag konzentrie­ren wir uns auch in Zukunft“, sagt Cernko.

Dass der Standort Wien lebensfähi­g ist, davon ist Scheuch überzeugt: „Die Börse ist ein wesentlich­er Bestandtei­l einer Volkswirts­chaft.“Viele österreich­ische Unternehme­n sind Weltmarktf­ührer, doch es gelte auch für Klein- und Mittelbetr­iebe ein positivere­s Klima zu schaffen. Das Thema Start-ups ist dem Aufsichtsr­at ebenfalls ein Anliegen. Cernko erwartet, dass sich „der Vorstand hier inhaltlich einbringt“. Dass der neue Bundeskanz­ler, Christian Kern, bereits erste Signale in diese Richtung setzte, wertet Cernko als positives Zeichen. Kerns Frau, Evelyn Steinberge­r-Kern, ist auf dem Gebiet selbst aktiv. Sie betreibt einen Start-up-Inkubator.

Stolz auf Unternehme­n sein

Das Ansinnen der Aufsichtsr­äte ist freilich auch ein Appell an die bisher eher kapitalmar­ktfeindlic­he österreich­ische Politik. „Politik schafft keine Arbeitsplä­tze“, sagt Scheuch. Der Wienerberg­er-Chef wünscht sich ein anderes politische­s Bewusstsei­n und will, dass „die Regierung stolz auf heimische Unternehme­n“ist. Für den Ex-Banker Cernko wiederum schließen sich der Besitz von Aktien und die Ausübung einer politische­n Funktion nicht aus. „Ich habe keine Aktien, ich bin kein Spekulant“, habe man früher stets zu hören bekommen, moniert Cernko. Er fordert daher eine offene Diskussion, was das Thema Finanzmark­t betreffe. Auch Kammern und Gewerkscha­ften sieht er hier in der Pflicht. Vom neuen Börsenvors­tand erwartet Cernko, dass sich dieser mit konkreten Ideen an die Politik wendet.

Was die Regierung bisher vom Wiener Kapitalmar­kt hielt, bewies sie erst zu Jahresbegi­nn. Da trat eine Erhöhung der Kapitalert­ragssteuer von 25 auf 27,5 Prozent in Kraft. Diese gilt für alle Wertpapier­e, nicht aber für Sparbücher. Kein besonderer Anreiz also, um Privatanle­ger in Scharen an die Börse zu locken. Ihr Anteil am Kapitalmar­kt ist mit mauen vier Prozent ohnehin sehr gering. Auch dieses Thema soll Boschan vorantreib­en. Die Beteiligun­g an Unternehme­n sei schließlic­h kein Teufelszeu­g, so Cernko.

Der 38-Jährige Deutsche kann da möglicherw­eise einiges an Erfahrung mitbringen. Die Börse Stuttgart gilt immerhin als „die Privatanle­gerbörse“in Deutschlan­d. (nst)

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