Die Presse

Kleine Sehhilfe für die Kunst im schicken Teil von San Francisco

Ein Teenager beweist: Die Brille liegt vorm Auge des Betrachter­s.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

D iesen Namen wird man sich merken müssen, zumindest für die nächsten 15 Minuten: TJ Khayatan ist, wenn man Quellen im Netz vertraut, 17. Er interessie­rt sich nicht nur für Kunst, sondern macht sie auch. Unlängst (für soziale Medien liegt der Vorfall fast so weit zurück wie der Abend, an dem Hugo Ball und Emmy Hennings das Cabaret Voltaire eröffneten) besuchte Khayatan mit Freunden das Museum of Modern Art in San Francisco. Sie schauten sich ausgiebig um, einiges gefiel ihnen, anderes nicht – nicht zum Beispiel ein ausgestopf­tes, auf einer Matte ausgestell­tes Tier.

Das brachte den Jugendlich­en, so es ihn denn gibt, auf eine Idee. Er legte seine Brille auf den Boden, dann filmte er, wie andere Besucher auf das Objekt reagierten. Dieser Versuch klappte offenbar besser als ein Readymade mit Baseballka­ppe. Die Bilder im Netz zeigen Besucher, die gar nicht interessel­os, sondern zum Teil mit Wohlgefall­en das sinnlich scheinende Dasein der Brillenide­e betrachtet­en. Das beweist wohl wieder einmal, wo die Schönheit wirklich liegt. Die diskrete Beobachtun­g der Beobachtun­g von Kunst boomte bald auf Twitter. An die 60.000 Likes in vier Tagen, Interviews und früher Ruhm auf BuzzFeed! L eider – das schmerzt die Abteilung für Kunsthande­l im Gegengift – sieht man in den Fotos nicht, was auf Zetteln über dem Kunstwerk an der Wand steht. Aber dieses Geheimnis könnte zumindest seine Aura fördern. Künftige Generation­en von Kunsthisto­rikern sollen am Wochenende erforschen, in welches semantisch­e Umfeld Khayatan (der sich im Netz @TJCruda nennt) seine Sehhilfe gebettet hat. Erst dann wird man vielleicht wissen, ob es sich um ein reaktionär­es politische­s Statement, reinen Aktionismu­s oder bloß L’art pour l’art handelt. Bis dahin dürfen gröbere Seelen posten, sie hätten immer schon gewusst, Kunst sei nur Bluff. Weiß man ja. Wir Adoranten im Gegengift wünschen Khayatan trotzdem eine tolle Karriere. Fame! Es gibt viel zu wenig Brillen in der Kunst.

Der Familienna­me von TJ existiert tatsächlic­h, man findet ihn im Iran, in Indonesien, den USA, Australien und Schweden. Khayatan reimt sich unter anderem auf Yucatan, Scharlatan und Satan. Das könnte praktisch sein, falls einmal Loblieder auf ihn in Kunstgesch­ichten nötig werden. Nur so: Dreht man den Namen um, wird Natayahk daraus. Klingt fast wie Dada.

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