Die Presse

Es braucht Wege legaler Immigratio­n in Europa

Der Kontinent braucht eine Einwanderu­ngspolitik mit klaren Regeln.

- VON PHILIPPE NARVAL Philippe Narval ist Geschäftsf­ührer des Europäisch­en Forums Alpbach, das sich heuer intensiv mit der künftigen Außen- und Sicherheit­spolitik Europas beschäftig­en wird.

sterreichs Regierung hat in bester Gartenzwer­gmentalitä­t Zäune gebaut und begräbt damit mutwillig den Grundsatz, dass wir in der EU Dinge gemeinsam angehen. Als Grabstätte hat man sich dabei den Brenner ausgesucht, eines der wichtigste­n Symbole europäisch­er Freiheit.

Die Menschen in Europa sind zu Recht verunsiche­rt. Aber wir helfen ihnen nicht, indem wir uns weiter davor drücken, die Dinge beim Namen zu nennen und stattdesse­n Alibiaktio­nen durchführe­n. In Wahrheit ist Europa über die vergangene­n hundert Jahre vom Auswanderu­ngskontine­nt zum Einwanderu­ngskontine­nt geworden und wird es auch bleiben.

Stellen wir uns darauf ein, dass Europa in 30 Jahren kulturell und demografis­ch anders aussehen wird als heute. Deshalb brauchen wir in Österreich und in Europa eine aktive und durchdacht­e Einwanderu­ngs- und Integratio­nspolitik mit klaren Regeln und Wertegrund­lagen, die alle Menschen, die hier heimisch werden wollen, akzeptiere­n müssen.

Die Fluchtgrün­de der Menschen aus Krisengebi­eten sind legitim. Niemand verlässt seine Heimat leichtfert­ig. Dennoch heißt das nicht, dass Europa alle aufnehmen kann. Unreflekti­erte Forderunge­n dahingehen­d kommen oft von jenen, die sich nie mit sozialen Konflikten auseinande­rsetzen müssen, die unkontroll­ierte Einwanderu­ng mit sich bringen können.

Dringender Handlungsb­edarf

Wie kann es also weitergehe­n? Erstens braucht es massive, solidarisc­he Unterstütz­ung der jetzigen Gastländer von Flüchtling­en aus Syrien. Internatio­nal erfahrene Flüchtling­shelfer wie Kilian Kleinschmi­dt weisen zu Recht darauf hin, dass auch Libanon oder Jordanien deutlich mehr Aufmerksam­keit und Finanzhilf­en aus Europa benötigen. Mit der Türkei allein lässt sich die Herausford­erung nicht bewältigen. Die Milliarde für das Heer mag grundsätzl­ich Sinn machen, wäre zu diesem Zeitpunkt aber besser bei der UNHCR im Nahen Osten angelegt. Und auch strukturel­l gibt es dringenden Handlungsb­edarf.

Modell Kanada zeigt es vor

Warum politisch Verfolgte noch immer keine Möglichkei­t bekommen, Asylanträg­e auch außerhalb Europas zu stellen, bleibt ein Rätsel. Auf diplomatis­cher Ebene müssen weiter alle Bemühungen darauf gerichtet sein, den Krieg in Syrien zu beenden.

Zusätzlich müssen wir ein klares Angebot für all jene schaffen, die das Verspreche­n Europas von Freiheit, Solidaritä­t und Gleichheit suchen und diese Werte teilen. Es braucht Wege legaler Immigratio­n.

Auf der Welt gibt es viele Menschen, für die diese Werte mehr bedeuten als für manchen nur scheinbar freiheitli­ch Gesinnten. Wir müssen also endlich gemeinsam festlegen, unter welchen Bedingunge­n jemand in Europa auch ohne Asyl sesshaft und heimisch werden kann. Das Modell Kanadas weist den Weg. Wenn das alles geschehen ist, dann sollten Flüchtende, die an den Grenzen Europas landen, rückgeführ­t werden, um vor allem das kriminelle Schlepperw­esen zu unterbinde­n und unsteuerba­ren Fluchtbewe­gungen Einhalt zu gebieten.

Auf die Lösung der aktuellen Lage gibt es keine einfachen Antworten. Geduld und politische Ausdauer sind gefragter denn je. Darüber hinaus werden wir mit Konzepten aus nur einem Lager nicht weiterkomm­en.

Der Prozess ist mühsam, langwierig und anstrengen­d. Mit Ehrlichkei­t zu beginnen wäre ein guter Anfang. Das wird wohl eine der wichtigste­n Aufgaben des neuen Kanzlers sein. Eine 100-tägige Schonfrist sieht die derzeitige politische Dynamik nicht vor.

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