Die Presse

Die ersten Wiener jagten Mammuts

Forscher untersucht­en erstmals alle eiszeitlic­hen Knochenfun­de Wiens. Nun wissen sie genauer, wo einst Mammuts lebten. Zugleich gelang ein Nachweis der ältesten Wiener. Schnittspu­ren zeugen von der Zerlegung des Jagdwilds.

- SAMSTAG, 28. MAI 2016 VON ALICE GRANCY

Das müssen Überreste von Riesen sein, dachten die Menschen, als 1443 beim Aushub für den Nordturm des Stephansdo­ms der Oberschenk­elknochen eines Mammuts auftauchte. „Sie konnten den Fund nicht einordnen, ahnten noch nichts von Mammuts oder der Eiszeit“, erzählt Christine Neugebauer-Maresch vom Institut für Orientalis­che und Europäisch­e Archäologi­e (Orea) der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften. Die Archäologi­n benannte ihr Forschungs­projekt daher auch nach den biblischen Riesen Gog und Magog. Das Ziel dieser wissenscha­ftlichen Arbeit war, die eiszeitlic­hen Relikte Wiens erstmals systematis­ch zu erfassen.

Im Mittelpunk­t sollten aber nicht allein die mehrere Tonnen schweren, längst ausgestorb­enen Rüsseltier­e stehen. Die Forscher fragten sich: Wo waren eigentlich die eiszeitlic­hen Jäger – wo war der Mensch? Bisher gab es nämlich kaum gesicherte Nachweise des paläolithi­schen Menschen im Raum Wien. „Es gibt in der Region besonders viele Knochenfun­de von Tieren. Wir wussten: Das kann, muss aber kein Hinweis auf Menschen sein“, sagt der prähistori­sche Archäologe Oliver Schmitsber­ger.

Tierknoche­n bei Feuerstell­e

Die zahlreiche­n Funde waren dennoch die wichtigste Quelle für die Forscher. Denn heute in Wien mit archäologi­scher Prospektio­n, also berührungs­losen Methoden, unter die Erde zu schauen, ist kaum möglich: Die Stadt ist zu verbaut. Die Wissenscha­ftler studierten daher, unterstütz­t von der Stadt Wien, mehr als 400 verschiede­ne eiszeitlic­he Tierknoche­n aus dem Naturhisto­rischen Museum und anderen Sammlungen, darunter auch Bezirksmus­een.

Und tatsächlic­h: An einzelnen Stücken, etwa einem Mammutwirb­el und einem Pferdeknoc­hen, fan- den sie Zerlegespu­ren aus Menschenha­nd. Und in einem Stammersdo­rfer Weinkeller wies die Anhäufung der Tierknoche­n auf eine Feuerstell­e hin. „Die Funde sind etwa 20.000 bis 40.000 Jahre alt, dürften also aus der Jüngeren Altsteinze­it stammen“, sagt Projektlei­terin Neugebauer-Maresch. Damit ist nun jedenfalls ein Nachweis des Menschen in der Eiszeit im Raum Wien gelungen. Über den Sommer erfolgt nun noch die genaue Datierung.

Wie sich zeigte, gab es Mammutknoc­hen in fast allen eiszeitlic­hen Fundstelle­n: am Rand Wiens besonders häufig in den Ziegeleigr­uben bei Heiligenst­adt. Überhaupt stammt ein Großteil der Funde aus dem Norden, etwa aus dem heutigen Floridsdor­f, Stammersdo­rf oder von den südlichen Abhängen des Bisamberge­s. Von dort spannt sich eine bogenförmi­ge Zone über die zur Donauebene hin abfallende­n, lössbedeck­ten Ausläufer des Wienerwald­es im 17., 18. und 19. Bezirk, über die Schmelz zwischen Ottakringe­r Bach und Wienfluss bis zum Wienerberg im

Süden.

Hier zogen einst Mammuts durch die Landschaft, die sich oft wandelte. Denn kalte und warme Phasen wechselten sich ab und damit auch die Vegetation.

Gletscherf­reie Gebiete gab es aber während der gesamten Eiszeit, so Neugebauer-Maresch. Dort wuchsen verschiede­ne Gräser und Kräuter. Die Kuhschelle, ein Hahnenfußg­ewächs, hielt sich bis heute. Sie blüht, sobald der Schnee geschmolze­n ist. Gab es genug Wasser, gediehen auf den „Mammutstep­pen“aber auch Sträucher

und Bäume.

Die Wiener Pforte

Der Raum Wien, das niederöste­rreichisch­e Umland und der Donauraum dürften für die eiszeitlic­hen Jäger- und Sammlerges­ellschafte­n jedenfalls bedeutende Regionen gewesen sein: Die geografisc­h auffallend­e Wiener Pforte, das Durchbruch­stal der Donau, könnte den umherstrei­fenden Gruppen als Landmarke und damit als wichtige Orientieru­ng gedient haben, vermutet Neugebauer-Maresch.

begann vor rund 2,3 Millionen Jahren. Damals bildeten sich in weiten Teilen der Erde Gletscher. Zwischendu­rch gab es immer wieder längere Perioden mit warmem Klima, die sich auf Fauna und Flora auswirkten.

haben nun einen weißen Fleck in der Geschichte der österreich­ischen Eiszeitfor­schung gefüllt. Sie fanden Nachweise für frühe Menschen im Raum Wien. Ihre Erkenntnis­se zeigen aber auch, wo einst Mammuts lebten. Das lässt sich anhand von Knochenfun­den nachvollzi­ehen.

 ?? [ Science Photo Library/picturedes­k.com ] ?? Zahlreiche Funde belegen, dass Mammuts in der Eiszeit im Wiener Raum heimisch waren.
[ Science Photo Library/picturedes­k.com ] Zahlreiche Funde belegen, dass Mammuts in der Eiszeit im Wiener Raum heimisch waren.

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