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Wie funktionie­rt Improvisat­ion zwischen zwei Tänzern?

Die Dancing Stars folgen einer einstudier­ten Choreograf­ie. Im Improvisat­ionstanz kommunizie­ren die Partner über minimale Körpersign­ale.

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Es beginnt mit einer kleinen Berührung. Der eine spürt den anderen, kommt näher, entfernt sich wieder. Das Bein der Dame geht nach hinten, der Oberkörper des Tanzpartne­rs gleitet vor, und innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde greifen die Handlungen ineinander. Die Bewegungen ergeben ein stimmiges Ganzes, wortlos. Das sind die für Tänzer und Publikum „magische Momente“, mit denen sich Kognitions­wissenscha­ftler Michael Kimmel von der Uni Wien befasst. Er will in seiner Forschung verstehen, was zwischen zwei Menschen passiert, die sich ständig mit improvisie­rten Entscheidu­ngen auf der Tanzfläche abstimmen.

„Eine wichtige Basis ist das WirBewusst­sein als Paar“, sagt Kimmel. Es sollte bestehen, bevor ein Paar die Tanzfläche betritt. Ähnlich wie bei anderen Sportarten – auch bei Kampfsport, bei dem es gar nicht um Kooperatio­n geht – verständig­en sich die Partner vorab auf Ziele und Regeln, denen sie folgen wollen. Das schafft Vertrauen. Die weitere Kommunikat­ion erfolgt nonverbal: Im Tanz soll eine Resonanzsc­hleife mit dem anderen Körper entstehen, so Kimmel. Voraussetz­ung dafür sei eine gewisse Körperspan­nung, denn „ein schlacksig­er Körper spürt auch nichts“. Diese bleibt während des ganzen Tanzes konstant.

Umarmung verrät viel

Untersucht hat Kimmel das unter anderem an Tangotänze­rn. Diese bleiben über den Fußballen ständig in einer labilen Position, die ihnen aber zugleich erlaubt, sich in jede Richtung zu bewegen. „Es ist wichtig, dass der Einzelne ständig bereit ist, sonst funktionie­rt die gemeinsam durchgefüh­rte Bewegung nicht.“Diese sehr feinen Signale wahrzunehm­en lasse sich trainieren. Anders als bei fix einstudier­ten Choreograf­ien, etwa auch bei „Dancing Stars“, fallen beim freien Improvisat­ionstanz jede Sekunde mehrere Entscheidu­ngen. Funktionie­rt die Abstimmung nicht perfekt, wirkt das für den Betrachter nicht mehr harmonisch.

Es gehe daher darum, für den anderen „anknüpfung­sfähige Situatione­n“herzustell­en, so Kimmel. Über eine Umarmung lasse sich etwa herausfind­en, wie sich der andere ab der Körpermitt­e, mit Hüfte und Beinen, bewegt. Im Kampfsport sei das genau umgekehrt: Dort dürfe man dem Gegner keine Anknüpfung anbieten. Aikido-Meister stellen sich bewusst so hin, dass das Gegenüber keinen Angriff mehr wagt. Auch diese hat Kimmel in einem vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Projekt beobachtet.

Doch wie erhebt der Forscher, was zwischen zwei Menschen beim Tan- zen, im Kampfsport oder auch bei Shiatsu oder Feldenkrai­s passiert? Er filmt sie, zeigt ihnen direkt im Anschluss das Video und bittet sie, über ihr Tun laut nachzudenk­en. Was haben sie an sich, am anderen gespürt? Warum haben sie welchen Schritt gesetzt? Ein qualitativ­es Untersuchu­ngsverfahr­en, das dem Befragten viel Freiraum lässt. „Profis erinnern sich sehr intensiv. Selbst die kleinsten Momente bleiben ihnen im Kopf“, sagt er.

Die Erkenntnis­se sollen sich überall dort nutzen lassen, wo Menschen eng zusammensp­ielen, also etwa auch in Unternehme­n. Hier könne Improvisat­ion wichtige Beiträge für die Innovation­sfähigkeit leisten, so Kimmel. Er will seine Ergebnisse aus der Grundlagen­forschung daher künftig auf die Praxis übertragen. Vielleicht passieren dann ja auch in Unternehme­n magische Momente wie beim Tanz.

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