Die Presse

Witze für die Wissenscha­ft

Wissenscha­ftsvermitt­lung. Internatio­nale Forscher präsentier­en politische Witze und erklären die Hintergrün­de des Phänomens. Das Kabarett Vindobona wird damit erstmals als Bühne für Politikwis­senschaft und Soziologie genutzt.

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„Warum strahlt die Sonne am Morgen so fröhlich? Weil sie weiß, dass sie am Abend im Westen sein wird.“Mit politische­n Witzen – dieser stammt aus den 1980er-Jahren – will das Institut für die Wissenscha­ft des Menschen (IWM) Leute erreichen, die mit Wissenscha­ft wenig am Hut haben. Darum gestaltet das IWM am Montag, 6. Juni, erstmals einen Abend im Kabarett Vindobona in Brigittena­u. Der Eintritt ist frei, aber um Anmeldung auf www.iwm.at wird gebeten.

„Normalerwe­ise präsentier­en Wissenscha­ftler der ganzen Welt ihre Arbeit in unserer Bibliothek. Doch mit Unterstütz­ung der Stadt Wien, die Wissenscha­ft sichtbarer machen will, gehen wir ins Kabarett, auch um zu zeigen, wie unterhalts­am Wissenscha­ft sein kann“, sagt Marion Gollner vom IWM.

Der britische Soziologe Steven Lukes forscht seit September am IWM zu Fragen von Macht, Moral und Ethik. „Witze sind eine Art von Widerstand gegen Macht“, sagt er. Lukes veröffentl­ichte 1986 mit dem israelisch­en Politikwis­senschaftl­er Itzhak Galnoor eine Sammlung politische­r Witze, die Basis des komödianti­schen Wissenscha­ftsabends ist. Gemeinsam mit dem bulgarisch­en Politikwis­senschaftl­er Ivan Krastev, auch ein IWM-Forscher, führt Lukes durch den Abend.

„Das Phänomen der politische­n Witze ist für Soziologen besonders interessan­t: Sie sind ein Ventil für Ängste und Sorgen“, sagt Steven Lukes. „Als wir die Witze gesammelt haben, war die Zeit des Kommunismu­s. In kommunisti­sch regierten Ländern gab es viel mehr politische Witze als etwa in England“, erzählt der frühere OxfordProf­essor, der nun an der New York University in den USA lehrt.

Forschung auf Dinnerpart­ys

„Weil Witze die Ängste überspiele­n oder abbauen sollen, gibt es so viele über den Tod, über Sex und über politische Umstände, die den Leuten Sorgen machen“, sagt Lukes. „Wir haben echte Feldforsch­ung betrieben, meistens auf Dinnerpart­ys. Wenn man dort mit Menschen über Politik diskutiert, beginnt bald jemand, einen Witz zu erzählen. Weit über 1000 haben wir in vielen Ländern der Erde gesammelt. Damals noch auf Karteikart­en, das war die Zeit, bevor es das Internet gab.“Seine besten Witze stammen aus Russland, Ungarn und der Tschechosl­owakei.

„Zwei Tschechen betrachten in Prag auf einer Automobilm­esse einen Rolls-Royce. Sagt der eine Mann zum anderen: ,Was für ein wunderschö­nes Beispiel von sowjetisch­er Technologi­e.‘ Darauf der andere: ,Was meinen Sie mit sowjetisch? Das ist ein britisches Auto, kennen Sie das nicht?‘ ,Doch, schon. Aber ich kenne ja Sie nicht.‘“Dieser Witz zeige, dass die Menschen oft das gesagt haben, was sie für politisch korrekt hielten, vor allem in Ländern, in denen man nicht jedem trauen konnte.

Politische Witze können, müssen aber nicht den Namen eines Politikers oder einer Partei enthalten. Gerade die Witze, die „normale Menschen“zum Inhalt haben, seien aussagekrä­ftig über das Regime.

Freilich kommen in seiner Sammlung auch Witze vor, in denen Margret Thatcher als dominantes Weibsbild dargestell­t wird oder Helmut Schmidt zu Erich Honecker sagt: „Ich sammle politische Witze“, worauf Honecker antwortet: „Ich sammle Leute, die politische Witze erzählen.“

Tradition aus Kaffeehäus­ern

„Ich nehme an, dass die Tradition der politische­n Witze hier in Mitteleuro­pa entstanden ist, als sich die Intellektu­ellen in Kaffeehäus­ern wie dem Cafe´ Sperl oder Cafe´ Central getroffen haben“, so Lukes. Auch die jüdische Qualität hört er bei vielen Witzen sofort heraus.

Was aktuelle Witze betrifft, vor allem österreich­ische, lässt sich Lukes gern überrasche­n: Das Publikum kann sich am 6. Juni im Vindobona am Witzeerzäh­len beteiligen. Der Buchtitel der Sammlung lautet übrigens „No Laughing Matter“, was von dem Witz stammt: „A German Joke is no laughing matter“– „Ein deutscher Witz ist nichts zum Lachen.“(vers)

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