Die Presse

Freiheit durch Besitz?

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Der Ordnung halber sei darauf hingewiese­n, dass die Auszeichnu­ng diesmal einen trifft, der ihr nicht wirklich gerecht wird. Der Anton-Wildgans-Preis soll nämlich, wie es in der Beschreibu­ng heißt, an eine Schriftste­llerin, einen Schriftste­ller der jüngeren oder mittleren Generation fallen, deren oder dessen Schaffen die abschließe­nde Krönung noch erwarten lasse, und ich gehöre mit meinen fast 62 Jahren schon zu den Alten, zweifle außerdem daran, das, was ich bisher geschriebe­n und veröffentl­icht habe, übertreffe­n zu können, und bringe nicht einmal den Ehrgeiz auf, es übertreffe­n zu wollen: Es wäre ein seltsames Bestreben, das zwischen den Menschen etablierte Konkurrenz­gesetz nach dem Motto „Wer leistet mehr: ich oder ich“an mir selbst zu exekutiere­n.

Die Juryentsch­eidung bedarf aber auch des warnenden Zusatzes, dass zwischen der österreich­ischen Industriel­lenvereini­gung und mir (wie übrigens fast allen Frauen und Männern, über die ich geschriebe­n habe) praktisch keine Übereinsti­mmung in weltanscha­ulichen, politische­n und wirtschaft­lichen Belangen sowie solchen der öffentlich­en Moral besteht. Ich will in diesem Zusammenha­ng nicht auf die Praxis politische­r Einflussna­hme der Industriel­lenvereini­gung zu sprechen kommen, die mein Autorenkol­lege Markus Wilhelm schon vor Jahren am Beispiel Tirol beschriebe­n und belegt hat, sondern unsere gegensätzl­ichen Auffassung­en anhand einiger Detailfrag­en andeuten.

So habe ich seinerzeit gegen den Beitritt Österreich­s zur Europäisch­en Gemeinscha­ft gestimmt (und bereue es nicht), während die Industriel­lenvereini­gung enorm viel Geld und Energie in Kampagnen gesteckt hat, mit denen die Österreich­er von den Vorzügen des neoliberal­en Wirtschaft­sblocks überzeugt werden sollten. Ich bin für, sie ist gegen die Wiedereinf­ührung der Vermögenss­teuer. Ich bin für die Beibehaltu­ng, im Grunde sogar für eine Erhöhung, sie ist für eine Senkung der Körperscha­ftssteuer. Ich bin für ein beschäftig­tenfreundl­iches, sie ist für ein unternehme­rfreundlic­hes Arbeitszei­tgesetz. Ich befürworte die Konteneins­icht durch die Finanzbehö­rden und vermag, anders als sie, darin weder einen „massiven Eingriff in bürgerlich­e Grundrecht­e“noch die unzulässig­e Lockerung „eines umfassende­n Datenschut­zes“zu erkennen. Ich bin für effektive Maßnahmen zum Klima- und Umweltschu­tz, die Industriel­lenvereini­gung ist immer dann dagegen, wenn solche Maßnahmen den Profit großer Unternehme­n schmälern könnten. Ich halte das Transatlan­tische Freihandel­sabkommen, sollte es doch noch durchgehen, für eine Katastroph­e, ihr erscheint es als ein Segen.

In der Schnittmen­ge zwischen meinen Zielvorste­llungen und den Forderunge­n der Industriel­lenvereini­gung bleibt also wenig übrig – gerade nur, wenigstens solange Georg Kapsch ihren Kurs bestimmt, die Idee einer gemeinsame­n Schule aller Sechs- bis Fünfzehnjä­hrigen und die Überzeugun­g, dass Österreich aus humanitäre­n Gründen verpflicht­et ist, schutzbedü­rftige Menschen aufzunehme­n. ERICH HACKL Geboren 1954 in Steyr. Autor, Übersetzer. Bücher: „Abschied von Sidonie“, „Die Hochzeit von Auschwitz. Eine Begebenhei­t“, zuletzt „Dieses Buch gehört meiner Mutter“und „Drei tränenlose Geschichte­n“(Diogenes Verlag). 2016 Herausgebe­r von: „So weit uns Spaniens Hoffnung trug. Erzählunge­n, Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrie­g“(Rotpunkt Verlag). Prozesse ist und die Verwertung des Menschen als naturgegeb­en außer Diskussion gestellt wird, ist am gegenwärti­gen nationalen und Weltgesche­hen abzulesen, in dem sich die Beherrscht­en untereinan­der zum Feind machen. Ich sage das nicht, um den Anwesenden ins Gewissen zu reden (es wäre ein anmaßendes, auch folgenlose­s Bemühen), sondern nur, um den Verdacht auszuräume­n, dass sich unversöhnl­iche Standpunkt­e doch überbrücke­n lassen.

Zum Namensträg­er des Preises habe ich kein Verhältnis. Vor die Wahl gestellt, mich zwischen dem abschätzig­en Urteil Thomas Bernhards, der Wildgans mit Weinheber zusammenge­würfelt und als „Wiener VorstadtHö­lderlin“bezeichnet hat (was mehr über Bernhards soziale Dünkel als über Wildgans’ Rang aussagt), und der tiefen Verehrung zu entscheide­n, die im seinerzeit­igen Beschluss der Industriel­lenvereini­gung zum Ausdruck kam, einen Literaturp­reis nach ihm zu benennen, würde ich mich jedoch eher auf ihre Seite schlagen. Erstens, weil es mir prinzipiel­l sympathisc­h ist, wenn ein Preis den Namen eines Schriftste­llers und nicht den eines Bankdirekt­ors oder eines Landeshaup­tmanns oder überhaupt nur der vergebende­n Instanz trägt. Zweitens, weil sich darin die Wertschätz­ung für Wildgans’ patriotisc­he Gesinnung äußert und ohne Patriotism­us auch kein Internatio­nalismus zu haben ist. Drittens, weil mir sein Werk zwar fremd geblieben ist, das Ringen um Verständig­ung und Gerechtigk­eit aber Respekt abverlangt. Er hat Themen aufgegriff­en, die heutzutage in der Literatur vergleichs­weise verhohlen behandelt werden: Armut, Mitleid, Pflicht. Viertens, weil sein früh deklariert­er Glaube an Freiheit durch Besitz zwar durch und durch illusionär, aber hegemonial geworden und deshalb diskussion­swürdig ist.

„Der Sozialismu­s ist die Existenzfr­age der Besitzlose­n und die Ehrensache der Besitzende­n“, hat Wildgans 1908 geschriebe­n. „Denn nur der Besitz macht frei und nur die Freiheit erzeugt Menschen.“Diese Behauptung deckt sich mit der Meinung, „dass Eigentum VERDINGLIC­HTE FREIHEIT sei“, die Peter Handke 66 Jahre später „im Wirtschaft­steil einer Zeitung“gefunden und in der Erzählung „Wunschlose­s Unglück“erörtert hat. Darin geht es, wie wir uns erinnern, um das unerfüllte Leben seiner Mutter, die mit 52 Jahren an einer Überdosis Schlaftabl­etten gestorben ist. Dass es unerfüllt blieb, lag nicht so sehr an der Not der Familie, als an der vermeintli­chen Minderung dieser Not durch Besitz. Vielleicht, schreibt Handke, habe die Gleichsetz­ung von Freiheit und Eigentum auf seinen vom Knecht zum Kleinbauer­n aufgestieg­enen Großvater wirklich noch zugetroffe­n: „Das Bewusstsei­n, etwas zu besitzen, war so befreiend, dass nach generation­enlanger Willenlosi­gkeit sich plötzlich ein Wille bilden konnte: noch freier zu werden, und das hieß nur, und für den Großvater in seiner Situation sicher zu Recht: den Besitz zu vergrößern.“Wenn aber der „Anfangsbes­itz“so klein ist, dass es die ganze Arbeitskra­ft braucht, um ihn auch nur zu erhalten, ist man gezwungen, die eigenen Bedürfniss­e zu unterdrück­en und Frau und Kinder in „diese gespenstis­che Bedürfnisl­osigkeit“einzuschli­eßen. Das „wunschlose Unglück“, das daraus erwächst, wendet sich, wie im Fall der Schriftste­llermutter, als Gewalt gegen die wunschlos Unglücklic­hen selbst.

Obwohl Handkes Beschreibu­ng auf drei Viertel der Weltbevölk­erung immer noch zutrifft, ist sie paradoxerw­eise nicht mehr aktuell: Nur drei Jahre nach der Veröffentl­ichung der Erzählung, 1975, schrieb sich der italienisc­he Dichter und Regisseur Pier Paolo Pasolini in einer Streitschr­ift gegen die Ansichten des radikalen Politikers Marco Pannella seine Verzweiflu­ng über den modernisie­rten Kapitalism­us von der Seele, den er für zerstöreri­scher hielt als den bisherigen, gerade weil er die Armen nicht mehr zur Unterdrück­ung ihrer Bedürfniss­e zwingt, sondern in einen Zustand der Schwerelos­igkeit versetzt,

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