Panik hinter den Rollläden
Es ist ein Phänomen, das man aus kleinen österreichischen Orten kennt: Häuser mit heruntergelassenen Rollläden, am helllichten Tag trotz Normaltemperatur. Als Schallschutz an der Hauptstraße, weil jemand ein Mittagsschläfchen hält, oder aus Sicherheitsgründen am knallgelben Fertigteilhaus, weil man nicht zu Hause ist, hat dies ja Sinn. Es gibt auch andere Gründe, wie eine ortskundige Niederösterreicherin erzählt: Bewohnerinnen verdunkeln untertags, selbst wenn sie zu Hause sind, damit die Fensterglasscheiben nicht verschmutzen. Nicht unlogisch, da stets stärkere Autoverkehr immer mehr Nebenwirkungen hat.
Der Rollladen bietet Schutz aus einem persönlichen Sicherheitsbedürfnis heraus; man kann man nie wissen, wer grad vorbeiund auf dumme Gedanken kommt. Und es fällt in diesem Ort auf, dass so wenige Menschen auf der Straße sind. Die Geschäfte im Ortszentrum haben zugesperrt, die Post ist weg, der Wirt ist grantig, weil er mit der Registrierkassa nicht zurechtkommt, und droht, auch bald den Hut draufzuhauen. Die Leute würden sowieso lieber zum „Mäkki“(McDonald’s) im Fachmarktzentrum am Kreisverkehr in der Ortseinfahrt fahren. Seit der aufgesperrt hat, bleiben die jungen Gäste und jene mit Kindern weg. Viele Hauptstraßen geraten zu Durchzugsstraßen und ziehen oft dem Ortskern den Lebensnerv.
Wenn der öffentliche Raum nicht mehr funktioniert und die soziale Kontrolle durch Menschen, die die Straßen und Plätze sinnvollerweise „bevölkern“oder auch nur aus dem Fenster schauen, nicht mehr gegeben ist, ist das Volk verunsichert und zieht sich in den Innenraum zurück. „Suburban angst“nennt man dieses Phänomen in den USA. Ein undefiniertes Unsicherheitsgefühl, das die Bewohner von immer größeren, teureren, billiger gebauten Häusern auf immer entlegeneren Grundstücken befällt. Näher am jeweiligen Ortszentrum kann man sich’s nicht leisten, was zur Folge hat, dass die Dislozierung des Wohnhauses als Lebensmittelpunkt in der Subsuburb durch Anschaffung immer größerer, bequemerer Autos wettgemacht werden muss, um noch „top“zu sein.
Die Geschichte der Suburb führt ins England des 18. Jahrhunderts, als sich die ersten Verwerfungen im durch strikte Klassenunterschiede geprägten Gesellschaftssystem zeigten. Die Industrialisierung bewirkte, dass die arme Landbevölkerung in die Städte drängte, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Eine sinkende Kindersterblichkeit bewirkte nicht nur, dass mehr „hungrige Mäuler gestopft“werden mussten, sondern auch mehr Arbeitskraft vorhanden war; Kinderarbeit war eine Folge, um die Arbeitsplätze in den neu geschaffenen Fabriken auslasten zu können und das Einkommen der Familien zu verbessern. Analog dieser Art von Ausbeutung waren die Lebensbedingungen der Arbeiter schlecht: Miese Wohnbedingungen, übervolle Straßen, rauchende Schlote und üble hygienische Zustände machten die Stadtzentren zu unangenehmen Orten. land geführt, da man um den anhaltenden Zuzug von Siedlern aus Europa wusste. Die Suburbs als Investorenprojekte wurden als kleine Einheiten für die Elite sorgsam geplant und entsprechend beworben, die Gegenden entlang der Bahnlinien würden sich im Laufe der Zeit mit billigeren Häusern auffüllen. Ein System, das jahrzehntelang gut funktionierte, vor allem durch das Bahn- und Straßenbahnwesen der USA, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als das dichteste und beste der Welt galt.
Mit dem Aufkommen der Autoindustrie in den USA änderten sich die Vorzeichen; Ende der 1920er-Jahre war die amerikanische Autoproduktion achtmal so hoch wie in Europa und geriet zu einem der wesentlichsten Wirtschaftsfaktoren. Neben dem öffentlichen Verkehr wurde nun der Individualverkehr beschleunigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man an diese Erfolgsgeschichte anschließen und suchte nach einem Weg, der Auto- wie auch Fertigteilhausindustrie den Markt zu sichern. Die Idee der Suburb wurde weiterentwickelt und im Housing Act von 1949 die staatliche finanzielle Förderung beim Erwerb eines Häuschens im Grünen beschlossen; Developer schickten sich an, das Land aufzubereiten.
Innerstädtisch wurden ganze Stadtviertel oft grundlos zu Slums erklärt und niedergerissen, um unter dem euphemistischen Begriff des „Urban Renewal“Platz zu schaffen. Erneuerung bedeutete hierbei eine Spielwiese für Investoren, die mit den billig erworbenen Gründen durch Verdichtung und neue Nutzungen ungeahnte Gewinne einfahren konnten. Die Bewohner wurden nicht lange gefragt und in woanders neu errichtete „Wohnsilos“verfrachtet; eine Maßnahme, die schwerwiegende soziale Probleme nach sich zog. Die Mittelschicht zog wohl oder übel ins vorgefertigte Häuschen in der neu errichteten Suburb, wo weit und breit keine Bahnlinie und auch kein Geschäft mehr zu finden war, daher wurde ein Auto angeschafft. Der American Dream sollte perfekt sein.