Die Presse

Bocksprüng­e der Zeitgeschi­chte

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QWas nach trockener Kost klingt, ist es bei der Lektüre mitnichten. Mit gelassener Sympathie und rettendem Sarkasmus lässt der Autor seinen Helden, der es gleich zweimal zur Direktorss­telle an seiner Schule bringt, durch die Irrungen und Wirrungen der DDR-Bildungspo­litik und die anschließe­nden Wendezeite­n driften. Diese Passagen sind hervorrage­nd erzählt, die bürokratis­che Innenwelt des sozialisti­schen Staates wird begreifbar und offenbart erstaunlic­he Parallelen zum Westen. Hypertroph­en Bürokratie­n scheinen systemüber­greifende Merkmale innezuwohn­en.

Nach wie vor zürnt die Mutter dem Sohn wegen dessen Flucht, das Verhältnis der beiden bleibt gespannt. Als Konstantin nach der Wende ansehen muss, wie sein Bruder, Gunthard, der nicht nach München gegangen war, sondern in der SED Karriere gemacht hatte, „seine“Fabrik zurückbeko­mmt und den großen Herrn mimt, die Mutter aber in ein feuchtes Kellerloch der Stadtvilla steckt, wo sie ungetröste­t stirbt, bricht Konstantin endgültig mit seinem Bruder.

Mitunter verleiht der Verzicht auf die Strukturie­rung des Stoffes in Kapitel der an sich schon gewichtige­n Erzählung eine zusätzlich­e Schwere, der sparsame Einsatz von Dialogen verstärkt diesen Effekt. Grundsätzl­ich bleibt die Erzählspra­che aber präzise und unprätenti­ös. Was anfangs den Verdacht einer gewissen Lieblosigk­eit in der inneren Gestaltung und den Subtexten der Erzählung aufkommen lässt, erweist sich bei fortschrei­tender Entfaltung der Geschichte als Vorzug eines souveränen dokumentar­ischen Erzählens. In Heins Roman vermag sich die literarisc­he Substanz gegenüber den Fallstrick­en der historisch­en Wirklichke­it zu behaupten. Auch die Lakonie des Romantitel­s wird überzeugen­d eingelöst: Wer mit einem übermächti­gen SS-Vater durchs Leben schlingert und dabei nicht untergeht, ist wahrlich ein Glückskind.

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