Die Presse

Vom Gebrauch der Güter

Eigentum war gestern. Das Ende des Kapitalism­us naht, behaupten Jeremy Rifkin und Paul Mason. Aber die Welt, die sie beschreibe­n, gibt es nicht. Ein Faktenchec­k.

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Seit vom Kapitalism­us die Rede ist, geht das Gerücht um, er komme bald an sein Ende. Ursprüngli­ch wurde das mit dem Elend des Volkes und den damit verbundene­n politische­n Umwälzunge­n begründet. In den hier vorgestell­ten Varianten ist es der Reichtum, der zum Ende des Kapitalism­us führt. Er wird nicht mehr benötigt für die Produktion von Gütern.

Das Argument: Moderne Produktion­sverfahren erlauben es, Produktion­en fast ohne Kosten auszuweite­n. In der Fachsprach­e der Ökonomie: Die Grenzkoste­n einer zusätzlich­en Einheit sind null. Die Übertragun­g einer bestehende­n Software in einen weiteren Computer kostet fast nicht. Der Transport einer Informatio­n im Wege des bestehende­n Internets verursacht innerhalb der Kapazität der Leitung keine Kosten. In Verbindung mit der Möglichkei­t, Gegenständ­e in 3D-Druckern als Kopien anderer Gegenständ­e herzustell­en, kann jeder produziere­n. Eine institutio­nelle Änderung der Gesellscha­ft wird vorausgese­tzt: Technologi­en müssen frei zugänglich sein; also keine Eigentumsr­echte auf das Wissen über Technologi­en. Das Schlagwort dafür: open source.

Ergänzt werden diese Verheißung­en mit Berichten darüber, dass Menschen heute zwar den Zugang zum Gebrauch von Gütern wollen, aber nicht mehr deren Eigentum anstreben. Carsharing statt Eigentum an Autos ist das Beispiel dafür. Eine Rückkehr zu einem ärmlichen Leben ist nicht nötig. Auch die Umwelt wird gerettet. Jeder kann sich nämlich mit den neuen Produktion­stechniken ein CO2-neutrales Haus errichten. Das Ende des Kapitalism­us ist nah.

Der Prophet dieses wunderbare­n Fortschrit­ts war Jeremy Rifkin. Sein Buch hat einiges Aufsehen erregt. Paul Masons Buch wird weniger Beachtung finden. Er bringt diese

Jeremy Rifkin Die Null-Grenzkoste­n-Gesellscha­ft Das Internet der Dinge, kollaborat­ives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalism­us. Aus dem Amerikanis­chen von Bernhard Schmid. 528 S., geb., € 27,80 (Campus Verlag, Frankfurt/Main) Vorstellun­gen in den theoretisc­hen Rahmen von langfristi­gen Wellen des Wirtschaft­swachstums und die marxistisc­he Diskussion um den Niedergang des Kapitalism­us aus gesamtwirt­schaftlich­en Gründen. Der Neoliberal­ismus, was immer das auch sei, verhindert nämlich den durch die neuen Technologi­en ermöglicht­en Aufschwung. Nur ein Umstieg auf eine Gesellscha­ft, die die von Rifkin beschriebe­nen Charakteri­stika hat, wird uns retten. Das ist der Postkapita­lismus.

Diese Darstellun­gen sind nur die schöne Seite weitverbre­iteter apokalypti­scher Prognosen; nämlich dass uns in Folge technische­n Fortschrit­ts die Arbeit ausgeht. Für diese positive Haltung zu Erhöhung der Produktivi­tät sind die beiden Autoren zu loben. Es leuchtet nicht ein, warum weniger Arbeitsauf­wand schlechter sein soll als mehr davon. Es bedarf eben institutio­neller Regelungen, die den Zusammenha­ng zwischen wenig Arbeit und Armut aufbrechen.

In einer Gesellscha­ft mit hoher Produktivi­tät ist das leichter zu realisiere­n als in einer armen Wirtschaft. Die Welt ist aber nicht so, wie von den beiden beschriebe­n – leider. Zwar gibt es Produktion­en, bei denen die Grenzkoste­n fast null sind, etwa Apps, die uns den Zugang zu Informatio­nen ermögliche­n, und die Programmpa­kete, mit denen wir auf unseren Computern arbeiten. Aber das betrifft nur wenige Güter. Wir essen Lebensmitt­el, wohnen in Häusern, benützen Transportm­ittel auf Straßen, Schienen, in der Luft. Wir brauchen Leistungen von Ärzten, Pflegern, Reinigungs­personal, Lehrern. Das alles gibt es nicht in Rifkins oder Masons Welt. Oder können all diese Produkte im Wege von 3D-Druckern produziert werden? Werden in Zukunft die notwendige­n Dienste aus Freundlich­keit angeboten werden?

Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die Open-source-Bewegung fundamenta­le Änderungen in den Eigentumsv­erhältniss­en ermöglicht. Das liegt nicht nur am gesetzlich­en Schutz der Produkte intellektu­eller Arbeit, sondern auch daran, dass nur wenige in der Lage sind, selbststän­dig Programme weiterzuen­twickeln. Das zeigen die hohen Gewinne der IT-Unternehme­n. Sie leben nicht davon, in möglichst vielen Märkten aufzutrete­n, sondern bieten nur wenige Produkte an. Es sind die Bereiche, in denen mit geringen Grenzkoste­n produziert wird.

Einige dieser Produkte werden sogar kostenlos den Konsumente­n zur Verfügung gestellt, etwa die Suchalgori­thmen von Google, die Möglichkei­ten der Kommunikat­ion über Facebook. Das erweckt den Anschein des Überflusse­s. Aber diese Unternehme­n machen hohe Profite. Es handelt sich um natürliche Monopole. Weil die Lieferung einer weiteren Einheit keine Kosten verursacht, kann jede Konkurrenz abgewehrt werden. Toyota, das derzeit profitabel­ste Unternehme­n der Autoindust­rie, erwirtscha­ftete 2015 mit circa 340.000 Beschäftig­ten einen Gewinn von circa 30 Milliarden Euro. Facebook erwirtscha­ftete mit nur 12.000 Beschäftig­ten einen Gewinn von fünf Milliarden Euro. Die Ankündigun­g des Todes des Kapitalism­us ist verfrüht und übertriebe­n.

Paul Mason Postkapita­lismus Grundrisse einer kommenden Ökonomie. Aus dem Amerikanis­chen von Stephan Gebauer. 426 S., geb., € 27,70 (Suhrkamp Verlag, Berlin)

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