Die Presse

„Ein Disneyland für Juristen“

Interview. Max Schrems, der David aus Österreich, der Goliath Facebook besiegt hat, über seine Erfahrunge­n mit EuGH und Großer Kammer.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Die Presse: Sie haben sich im Datenschut­zstreit gegen Facebook vor dem EU-Gerichtsho­f durchgeset­zt. Seither sind Sie einer der wenigen Österreich­er, nach denen EuGH-Urteile benannt sind. Wie fühlt man sich als Namensgebe­r des „Urteils Schrems“? Max Schrems: Ich fühle mich da relativ komisch. Ich nenne die Entscheidu­ng immer „C-362/14“oder „Safe-Harbor-Urteil“.

Warum? Mir ist das einfach zu persönlich. In den Datenschut­zkonferenz­en nennen sie die Zeit nach dem Urteil auf Englisch „post Schrems“, also „nach Schrems“. Da stehst du im Raum und denkst dir: Ich lebe ja noch, es kann gar nicht „post Schrems“sein.

Welche Resonanz haben Sie sonst noch im Ausland gefunden? Zum Teil sind Sie ja als David, der Goliath besiegt hat, gefeiert worden. Ja. Entweder besonders gefeiert, oder es war eher von Weltunterg­ang die Rede – je nachdem, auf welcher Seite man in dieser Sache stand. Was man auch gesehen hat, war, dass die Debatte über das Urteil auch in Richtung USA ausgestrah­lt hat, seit es in Europa Schlagzeil­en gemacht hat. Außerdem zitieren Gerichte in den Mitgliedst­aaten das Urteil und verwenden es für ihre Rechtsprec­hung.

Und Sie selbst? Wurden Sie viel zu Tagungen und Vorträgen eingeladen? Ja, schon relativ heftig. Das war die direkte Folge. Lustig ist, dass es oft hieß: „Könnten Sie Ihre Anwälte schicken?“Ich habe dann gesagt: „Ich habe das im Großen und Ganzen ohnehin selbst gemacht; ich wüsste nicht, wen ich Ihnen schicken soll, der Ihnen viel mehr sagen kann.“Es ist allerdings ein bisschen schwierig, über seinen eigenen Fall zu sprechen, weil man da natürlich seine eigene Sichtweise hat. Da steht die Neutralitä­t schon infrage. Bei einem abgeschlos­senen Verfahren tut man sich aber leichter, denn da kann man auch die Gegenargum­ente gut ausbreiten.

Was war Ihr erster direkter Kontakt zum EuGH? Vor der mündlichen Verhandlun­g im März 2015 haben wir schriftlic­h eine Reihe von Fragen bekommen. Das war sehr interessan­t, weil man damit wusste, womit sich die Richter auseinande­rsetzen. Vor allem auch, ob sie versuchen, die Überwachun­gsthematik zu umschiffen. Mit den Fragen war klar, dass sie wirklich in die Tiefe gehen wollten.

Sie waren zweimal beim EuGH: bei der mündlichen Verhandlun­g und bei der Verkündung des Urteils. Genau.

Wie haben Sie die Verhandlun­g erlebt? Das Verfahren beruht schon wegen der erforderli­chen Übersetzun­gen stark auf Schriftlic­hkeit. Die Mitgliedst­aaten tragen großteils in ihrer jeweiligen Sprache vor, und da geht natürlich schon wahnsinnig viel verloren. Das alles ad hoc richtig und juristisch auf den Punkt zu übersetzen geht einfach nicht. Von daher ist es nicht unlogisch, dass man versucht, möglichst viel schriftlic­h zu machen. Anderersei­ts ist bei der Schriftlic­hkeit das Problem, dass es sehr enge Grenzen gibt: zum Beispiel maximal 20 Seiten, die man als Schriftsat­z einbringen kann. Das ist schon sehr, sehr knapp. Da fängt man dann wirklich an, Zeilenabst­ände zu minimieren und noch irgendeine­n Satz hineinzuqu­etschen. Wir sind dann auch darüber hinausgega­ngen und haben einfach mehr eingebrach­t und gesagt: Sonst müssen sie es uns halt zurückschm­eißen. Also da ist die Möglichkei­t, sich zu äußern und seinen Standpunkt geltend zu machen, schon sehr eingeschrä­nkt. Auch beim mündlichen Vortrag hat man eine Maximalzei­t, in der man sprechen darf.

Wie lang?

Bei uns waren das fünf oder zehn Minuten. Man darf aber auch nicht zu schnell sprechen, sonst können die Übersetzer nicht mithalten. Zum Teil haben wir uns mit diesen Formalisme­n mehr als mit den Inhalten beschäftig­t. Der Anwalt, der das vorgetrage­n hat, hat am Abend davor vor dem Spiegel Zeit gestoppt, um auf der einen Seite keine Minuten, in denen man noch gute Punkte machen kann, zu verschenke­n, auf der anderen Seite nicht zu lang zu werden, sodass ihm die wichtigen letzten Punkte vom Richter abgeschnit­ten werden.

Konnten Sie Ihren Standpunkt zur Gänze darlegen? Gewonnen haben Sie ja. Es hat einige Punkte gegeben, die die Richter aus dem, was wir vor- gebracht haben, nicht herausgele­sen haben. Zum Beispiel bei der Frage, ob die irische Datenschut­zbehörde entscheide­n muss oder nicht. Es ergibt sich zwar ohnehin klar aus dem Gesetz, aber es ist noch nie judiziert worden. Da denkt man sich, wenn man fünf Minuten mehr gehabt hätte, wäre das eine Nebenfrage gewesen, die zu klären auch wichtig gewesen wäre. Aber bei uns waren die Fragen der Richter zu 95 Prozent an die EU-Kommission; sie ist dort bombardier­t und zerlegt worden. Das war fast schon skurril, weil die Richter praktisch unser Anwalt waren und unsere Punkte lang und breit vorgebrach­t haben. Wir sind dann nur mit zwei oder drei Fragen bedacht worden, nach dem Motto „Ja mei, da sind Kläger, stellen wir ihnen auch einmal eine Frage“.

In welcher Sprache wurde verhandelt? In Englisch, weil der Fall ja aus Irland gekommen ist.

Die Verhandlun­g war wegen der großen Bedeutung der Sache vor der Großen Kammer mit 13 Richtern. Haben Sie das dann noch einmal als speziell erlebt? Ich bin da sehr unromantis­ch und nüchtern. Ich habe nur festgestel­lt, dass meine Anwälte ganz glückse- lig waren, vor der Großen Kammer zu sein. Auch Vertreter aus anderen Mitgliedst­aaten haben Fotos gemacht, weil sie vor der Großen Kammer waren. Da müssen sich die Anwälte auch einen Talar anziehen, und nachher haben sie schöne Gruppenfot­os gemacht. Das geht dann ein bisschen in die Richtung Disneyland für Juristen – dass sie da auch einmal waren. Vielleicht sollte auch ich mich ein bisschen mehr emotionali­sieren.

Die Öffentlich­keit war an dem Fall sehr interessie­rt. Ja, es war ein Medienspek­takel. Und viele Fachjurist­en haben sich interessie­rt. Spannend war dann die Urteilsver­kündung; da haben sie 13 Urteile der Reihe nach verkündet. Wir waren das zweite. Und da war außer uns und einem Knäuel an Medien schlichtwe­g niemand dort, nicht einmal die Parteien. Sie bekommen die Urteile ohnehin schriftlic­h ausgeferti­gt, und dort wird nur der Tenor vorgelesen.

Wollen Sie aus Ihrer Bekannthei­t noch mehr machen und auf dem Gebiet des Datenschut­zes öffentlich sichtbar bleiben? Ich finde die Datenschut­zsache spannend, aber sie ist nicht mein Lebensding. Ich empfinde diese Öffentlich­keit eher als unangenehm.

 ?? [ Daniel Novotny ] ?? Schrems findet „die Datenschut­zsache spannend“, aber sie sei nicht sein „Lebensding“. Er empfinde die Öffentlich­keit eher als unangenehm.
[ Daniel Novotny ] Schrems findet „die Datenschut­zsache spannend“, aber sie sei nicht sein „Lebensding“. Er empfinde die Öffentlich­keit eher als unangenehm.

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