Gemeinsam an die rote Werkbank
Hausgeschichte. Der Sandleitenhof setzte einen frühen sozialen Wohnbaumaßstab, leere Räumlichkeiten sind nun Schauplatz des Festivals Soho in Ottakring.
Dass der Sandleitenhof jener Wiener Gemeindebau mit den meisten Wohnungen ist – nämlich 1587 –, sieht man ihm auf den ersten Blick nicht an. Denn er bildet weniger ein Bollwerk des Roten Wien mit vielen Stiegen und kleinen Höfen, vielmehr ordnet er sich großzügig und offen rund um den Matteottiplatz an und löst sich im hinteren Bereich, am Abhang des Wilhelminenbergs, in eine locker eingestreute, niedrige Wohnbebauung auf. Bemerkenswert ist, dass bei der Ausrichtung dieses monumentalen Wohnbauprojekts auf die Sonneneinstrahlung Rücksicht genommen wurde.
Seit ein paar Jahren ist der Sandleitenhof ein Schauplatz des Festivals Soho in Ottakring; auch das Büro des Bezirksfestivals befindet sich in einem der Erdgeschoßlokale, die früher viel frequentierter waren. An die 75 Geschäfte und 58 Werkstätten hatten sich im Erdgeschoß der sozialen Wohnbauten befunden, erzählt Fotograf Wolfgang Krammer, der im Areal einen Verlag betreibt. Es existiert in der Erdgeschoßzone zwar noch einige Infrastruktur mit Gastronomie, Greißler, Friseur, Ordination und Kindergarten sowie eine große städtische Bibliothek, aber mancher großzügige Raum ist ungenutzt. Große Flächen wie die Vorräume zum Kino zum Beispiel, das einst ein Fassungsvermögen von 600 Zuschauern hatte – und später eine Konsum-Filiale war. „Im Vorjahr haben wir hier eine Visualisierung des früheren Kinosaals aufgehängt“, deutet Ula Schneider, Festivalgründerin und Leiterin, auf das zugemauerte einstige Lichtspieltheater, „ein Nichtort“. Dahinter befindet sich heute ein Wohnheim der Caritas. Immerhin dient das rohe Foyer wieder als Veranstaltungsstätte beziehungsweise Ausstellungsfläche – für Arbeiten, die sich heuer (Festivalmotto „In aller Munde“) mehr oder weniger um das Thema Ernährung drehen.
Noch größer und als Leerraum noch imposanter ist das Alte Museum, einst eine Waschküche, später dann, bis 2002, das Elektropathologische Museum, bis die Sammlung ins Technische Museum gekommen ist. In dem riesenhaften Saal voller dicker Pfeiler wird die Eröffnung des Festivals stattfinden.
Lange Bank zum Werken
Dass sich bei „Soho in Ottakring“drinnen viel tut, zeigt sich draußen: Vor dem Alten Kino wächst ein bis zu hundert Meter langer rot gestrichener Tisch in den Bau hinein. Diese „Küchenskulptur“verlängert quasi den öffentlichen Raum in diesen brachen Ort. An diesem langen Band aus Fichtenholz, soll gekocht, gegessen und vor allem gearbeitet werden: Mit dem Akkubohrer kann man nach einfacher Vorlage sich eben aus dieser Küchenskulptur seine eigene Sitzgelegenheit, einen Hocker, zusammenbauen. Erdacht und umgesetzt wurde die „Küchenskulptur“von Mostlikely (Mark Neuner und Andreas Lint) im Hinblick auch da- rauf, dass Sandleiten-Bewohner, Ottakringer und weiter angereiste Soho-Besucher hier gemeinsam Hand ans Holz anlegen.
Ein Ort der Kunst war der Sandleitenhof schon zu Beginn der Baukunst jedenfalls. Seine Architekten gehörten unter anderem zu den Schülern Otto Wagners – sie spielten sich mit den Varianten von Gebäudehöhen, der Einbettung der Objekte durch Plätze, Gassen und Grünflächen. Zum einen planten Emil Hoppe, Otto Schönthal und Franz Matuschek die stadtnä-
umfasst 1587 Wohnungen für rund 4000 Menschen. Errichtet wurde die Anlage von 1924 bis 1928 auf dem Areal alter Sandgruben. Bemerkenswert ist das städtebauliche Konzept und die Infrastruktur. www.wienerwohnen.at
Soho in Ottakring nutzt vom 4. bis 18. Juni die leer stehenden Räumlichkeiten des Alten Museums und des Alten Kinos. Zudem gibt es ein temporäres Kaffeehaus im Kongresspark. www.sohoinottakring.at heren Bauten. Im hinteren Bereich kamen Franz Krauß und Josef Tölk sowie Siegfried Theiss und Hans Jaksch zum Einsatz. Stilistisch variieren die Fassaden, doch die markante Gliederung und die massive Optik wirken verbindend. Errichtet wurde der Sandleitenhof in fünf Etappen von 1924 bis 1928 als ein Vorzeigeprojekt sozialen Wohnbaus, der den Bewohnern den Komfort von viel Licht und Luft sowie einem Bad und WC in der Wohnung bot. In der Zeit des Ständestaats wurde der Sandleitenhof doch zum Bollwerk. Bei den Februarkämpfen 1934 wurde so lange geschossen, bis die 5000 Bewohner aufgeben mussten. Und wie ein Fingerzeig wurde 1935 die Pfarrkirche St. Josef errichtet, die von den Bewohnern gern Vater-unser-Garage genannt wurde. Heute wirkt sie fast, als gehörte sie dazu. So wie auch der große Kongresspark, der dem Gemeindebau vorgelagert ist. Und in dem man temporär Kaffee trinken kann: Das „Kahvehane Kongresspark“begleitet das Soho in Ottakring beziehungsweise in Sandleiten bis zum 18. Juni.