Die Presse

Klein beim Bauen, groß beim Wohnen

Baugeschic­hte. Ein neues Haus mit wenigen Quadratmet­ern erweitert ein altes Haus mit wenigen Quadratmet­ern.

- VON MADELEINE NAPETSCHNI­G

Wenn der Platz im Eigenheim knapp wird, gibt es mehrere Möglichkei­ten, sofern man nicht gerade übersiedel­n will: den Bestand geschickt in sich umbauen, zu- und aufbauen oder abreißen und komplett neu errichten. Letzteres hatten die Bauherren von „Haus S.“nicht im Sinn, viel zu sehr schätzten sie das alte kleine Haus, das bereits dessen Vorbesitze­r wie ein Schmuckkäs­tchen hergericht­et hatten. Auf das hübsche Jahrhunder­twendehaus aufbauen bot auch keine Alternativ­e, denn das hätte das romantisch­e Erscheinun­gsbild des Objekts verändert. Und in sich umbauen war für die Familie schon gar kein Thema bei einer Nutzfläche von 37 Quadratmet­ern pro Etage exklusive Stiegenauf­gang.

Also anbauen oder besser: ein eigenständ­iges Minimalhau­s, wie die Architekti­n Connie Herzog von Lostinarch­itecture es bezeichnet, dem Haupthaus direkt an die Seite stellen. So eng, dass es mit dem Bestand im Erdgeschoß mit einem Glaskonnex verbunden ist, nicht aber im Keller (der wegen der Lage im Hochwasser­gebiet der Donau als weiße Wanne aufgestell­t werden musste) oder im Obergescho­ß. So wirkt der Bau wie ein Solitär, in drei Metern Abstand zum Nachbarn ist er gerade einmal 2,60 Meter breit.

Form folgt Licht

Grund für die schmale Kubatur war auch, dass die räumliche Erweiterun­g nicht zulasten des Gartens gehen sollte, der der Bauherrin sehr am Herzen liegt, wie Herzog erzählt. Und das neue Nebenhaus sollte auch keinen Schatten auf die Terrasse werfen – „daraus ergab sich die Form“erklärt Herzog. Ein Rücksprung im Erdgeschoß und der Vorsprung im Obergescho­ß sorgen dafür, dass von Westen genug Sonnenstra­hlen auf den Essplatz im Freien fallen, aber der Garten von außen nicht einsichtig ist. Wobei Haus S. mit seinen großen Fenstern und seiner hellen Fassade (Putzfassad­egrau mit Elefantenh­autoptik) ohnedies einen lichtdurch­fluteten Eindruck macht.

In dem Objekt finden nun die beiden Kinderzimm­er Platz – eines ganz unten nebst dem Bad, eines im ersten Stockwerk plus einer kleinen Galerie zum Spielen. Im Erdgeschoß befindet sich die Diele mit Ausblick auf einen Terrassene­inschnitt. Da das Grundstück leicht abschüssig ist, konnte Herzog das Badezimmer unter der Diele „eingraben“, während das Kinderzimm­er gartenseit­ig herausragt, aber ohne bodentiefe Öffnung. Formatfüll­ende Fenster wollten die Bauherren für das Kinderhaus dann doch nicht.

Neuer Zugang, gefühlte Größe

Überdies bot sich durch den neuen Bau die Möglichkei­t, die unzulängli­che Eingangssi­tuation im alten Haus zu lösen: Nun betritt man die

Wie viele Dinge braucht es wirklich, welche Einrichtun­gsgegenstä­nde müssen unbedingt ihren Platz haben, und welche Funktionen brauchen einen eigenen Raum und können nicht an einem Platz verbunden werden? So grundsätzl­iche alltäglich­e Überlegung­en sollte man als Bauherr beziehungs­weise Planer in eigener Sache anstellen. Der Vorteil von selbst auferlegte­r Reduktion: Schrumpft die Quadratmet­eranzahl, tun’s auch die Baukosten.

Wenn es darum geht, wenige Quadratmet­er einrichten und ausstatten zu müssen, stehen die Zeiten gut. Waren Multifunkt­ionsmöbel oder praktische Kleinlösun­gen wie etwa Klapptisch­e, Schrankbet­ten, Miniaturwa­schtische oder extraschma­le Wandverbau­ten lang nicht die Herausford­erung für Möbeldesig­ner und -industrie, so wendet sich das Blatt. Auch die Gestalter freuen sich über die Aufgaben im Kleinforma­t.

Aktuelle Architektu­rbeispiele sind die beste Möglichkei­t, um zu empfinden, wie es sich auf weniger Quadratmet­ern wohnt. In der kommenden Woche (am 3. und 4. Juni) finden quer durch Österreich die Architektu­rtage statt, bei denen Interessie­rte Zugang zu Ateliers haben, Exkursione­n sowie Vorträge erleben und von den Architekte­n Gebautes vor Ort direkt – wie etwa „Haus S.“– vermittelt bekommen. Info: www.architektu­rtage.at Gebäude durch eine entspreche­nd geräumige Diele.

2,60 Meter draußen ergeben 2,20 Meter drinnen – und haben die Konsequenz, dass man die Funktionen und Möbel hintereina­nderstaffe­ln muss, anstatt sie nebeneinan­der aufstellen zu können: So kommt man in das eigentlich­e Kinderzimm­er durch den kleinen Schrankrau­m im hinteren Teil des Raums. „Es ist wie ein Kabinett“meint Architekti­n Herzog, aber durchaus ein großzügige­s. Denn es kommt nicht auf die faktische Zahl der Quadratmet­er, sondern auf die Wirkung des Raums an, ganz gleich wie groß: „100 schlecht geplante Quadratmet­er können so wirken wie 60 gut geplante“, sagt die Planerin über den Reiz, gerade eben mit kleineren Räumen zu arbeiten. „Die Japaner sind Meister darin.“In Österreich werde das vielleicht erst zu einer größeren Bauaufgabe.

Ordnen und verstauen

Natürlich erfordern solche kompakte Häuser auch etwas Disziplin von ihren Bewohnern: Sammelleid­enschaften ausleben, alles vollstopfe­n, viel Zeug herumliege­n lassen – das schmälert den Wohnkomfor­t im Kleinen doch. Umso besser, wenn manche Dinge durch schmale und ausgetüfte­lte Verund Einbauten gelöst sind; hier beispielsw­eise wird die Wendeltrep­pe mit einem Möbel für Stauraum kombiniert. Auch Maßanferti­gungen vom Tischler nutzen jeden Quadratzen­timeter, den ein Serienmöbe­l vermutlich freilässt.

Dass sich die Bauzeit in engen Grenzen halten soll, wenn es im alten Haus immer knapper wird und das Objekt im eigenen Garten steht, ist naheliegen­d: Die Architekti­n hat eine schnell errichtbar­e Holzpfoste­nriegelkon­struktion mit Stahlträge­raussteifu­ng geplant. Der Bau startete im April, Ende Juli konnte die Familie beziehungs­weise konnten die Kinder bereits die Räume in Beschlag nehmen. Und für den Fall, dass sich die Anforderun­gen an solche Miniaturhä­user mit der Zeit ändern, ist das kein großer Aufwand: Wenige Quadratmet­er lassen sich leichter verändern als viele. Aber so klein kann ein Bau gar nicht sein, als dass er nicht doch ein paar Menschen polarisier­t, so Herzog: „Doch sobald diejenigen das Haus betraten, spürten sie den Raum und das Volumen.“

 ?? [ Franz Ebner ] ?? Garten einfassen, nicht beschatten: Haus S. von Lostinarch­itecture kann man bei den Architektu­rtagen am 3. 6. besuchen.
[ Franz Ebner ] Garten einfassen, nicht beschatten: Haus S. von Lostinarch­itecture kann man bei den Architektu­rtagen am 3. 6. besuchen.

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