Unnützes Wissen: Wie hoch ist der Eiffelturm?
Lernen. Vieles müssen Schüler in diesen Tagen für die mündliche Matura lernen. Vieles davon halten sie für irrelevant. Tatsächlich kommt es immer auf den Kontext an, ob das Erlernte in Job und Alltagsleben wichtig und anwendbar ist.
Wussten Sie, dass der Eiffelturm in Paris so gestrichen ist, dass die Farbe nach oben verlaufend heller wird – damit der Turm größer wirkt? Nein? „Unnützes Wissen“sei das? Gut. So sehen das auch die Autoren des gleichnamigen Buchs aus dem Heyne-Verlag.
Vielleicht aber verfolgen Sie während der Fußball-Europameisterschaft ein Spiel in der PublicViewing-Zone am Fuß des Eiffelturms und verstehen mit diesem Wissen, warum ihnen der Turm höher als 324,82 Meter erscheint.
Schüler beklagen gern, dass sie zu viel unnützes Wissen erwerben müssten. In den Tagen vor der mündlichen Matura wird diese Klage besonders laut. Viele meinen, im alten Satz „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“seien die Objekte vertauscht worden.
Hilfe, ich weiß zu viel?
„Man kann nie zu viel wissen“, sagt Hannes Raffaseder, der sich an der FH St. Pölten intensiv mit Wissenstransfer beschäftigt. Ob Wissen unnütz sei, komme immer auf den Kontext an. Ändere er sich, werde vermeintlich Unnützes mit einem Mal sehr nützlich. Was es daher braucht, ist das permanente Gespräch von Schule, Wirtschaft und Gesellschaft darüber, was unterrichtet werden soll.
Doch was wünscht sich die Wirtschaft von der Schule? Mathematik und Deutsch würden sitzen, sagt Katharina Sigl, Leiterin des Bereichs Didactics beim Automatisierungstechniker Festo. Sie hat viel mit HTL-Absolventen zu tun und meint, „bei Fremdsprachen gibt es Optimierungspotenzial“.
Angelika Mittelmann, Wissensmanagerin bei der Voestalpine, geht einige Schritte weiter. Sie hat immer ein Auge darauf, wie junge Menschen an Problemlösungen herangehen. Wichtig ist ihr auch, dass sie sich ausdrücken, dass sie präsentieren, begeistern, überzeugen und im Team arbeiten können. Letzteres spiegle sich in dem, was benotet werde, kaum wider: Schulund Abschlussarbeiten würden allein geschrieben – was das Einzelkämpfertum fördere.
Die Modehauskette Peek & Cloppenburg möchte den Bildungsauftrag nicht nur den Schulen übertragen und bietet Maturanten, die „nur“theoretisches Wissen mitbringen, duale Bachelorstudien. Darin, sagt Melisa Gibovic, Head of HR, würden sich auch Seminare zu Kommunikation und Führung finden.
Raffaseder bricht eine Lanze für die Schule: Ja, es gebe Maturanten, die in puncto Rechnen, Schreiben und Lesen Schwächen zeigen. Auch in Sachen Reflexionskompetenz. Sie würden von der Schule aber auch vieles mitbringen: etwa selbstverständlichen Umgang mit digitalen Medien und Lust an der Recherche. Allerdings sagt Raffaseder: „Das Internet liefert Fakten, aber keine Kontexte.“
Auf Vorrat lernen
All das hilft nicht darüber hinweg, dass bis zur Matura vieles gleichsam „auf Vorrat“gelernt wird. Man müsse Schülern den Nutzen des Unterrichtsstoffs klarmachen, sagt Anja Lembens, Leiterin der Österreichischen Gesellschaft für Fachdidaktik. Auch sie ist überzeugt, dass der Kontext der Schlüssel ist. Der
Was sie meint, erklärt die Universitätsprofessorin für Chemie an einem Beispiel: „Als Erwachsener muss ich alltägliche Entscheidungen treffen, wie ,Soll ich ein Plastikoder Papiersackerl verwenden?‘. Der Kontext, im konkreten Beispiel die Wirkung chemischer Stoffe auf Gesundheit und Umwelt, müsse im Unterricht klar werden.
Bei den Schülern „eine Fragehaltung erzeugen,“nennt Lembens als didaktisches Prinzip. Erst müssten die Grundlagen vermittelt werden, in einer Vertiefungsphase könnten anschließend auf die Interessen der Schüler abgestimmte Fragen behandelt werden. Um optimal zu lernen, solle das „möglichst selbstständig“passieren: in Form von Experimenten oder eigenständiger Literaturrecherche.
In eine ähnliche Kerbe schlägt Katharina Sigl: „Ich würde mir einen projektorientierten Zugang wünschen.“Die „fachspezifische Verliebtheit“an den Schulen müsse „aufgebrochen“, fächerübergreifende Projektarbeit gefördert werden. Als Beispiel nennt sie den Eurovision-Song-Contest vor zwei Wochen. Ihn könne man sich aus musikalischer Perspektive ansehen, aber auch aus gesellschaftspolitischer und wirtschaftlicher.
Eintrichtern ist sinnlos
Dann fallen Programme, die Schüler mit der Praxis des Arbeitsalltags in Kontakt bringen wollen, eher auf fruchtbaren Boden. „Schulen sollten bei der Berufsorientierung durch Kontakte zur Wirtschaft und zu Unis unterstützen, schulinterne Messen, Vorträge oder Exkursionen anbieten“, sagt Gibovic.
Und was ist mit Schülern, die sich begeistern lassen? Der Nürnberger Trichter, sagt Anja Lembens – also die Vorstellung, Schülern Wissen von außen einflößen zu können – funktioniere nicht. „Wir können nur ein Lernangebot machen.“Die Bereitschaft, das Wissen aufzunehmen, müsse aber von den Jugendlichen selbst kommen. Gleich, ob da Wissen scheinbar unnütz ist oder nicht.
NAVIGATOR