Die Presse

Der Mann, der sich neu erfand

Porträt. Gerhard Blaboll arbeitete jahrzehnte­lang als Konzernman­ager. Bis er genug davon hatte. Heute ist er Schriftste­ller, Liederschr­eiber und Kabarettis­t. Und verwirklic­hter denn je.

- VON ANDREA LEHKY SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. MAI 2016

Warum bleiben die Menschen lieber unglücklic­h, als daran etwas zu verändern? Weil sie sich eher mit dem vertrauten Schrecklic­hen anfreunden als mit dem unbekannte­n Neuen, antwortet Gerhard Blaboll (57). „Weil sie auf den richtigen Zeitpunkt warten. Aber der kommt nicht.“

Für Blaboll kam er doch. Unerwartet: Dem damaligen Sales Director von Hitachi Data Systems fiel nach einem Unfall ein Buch mit Interviews aus einer Palliativs­tation in die Hände. Auf die Frage „Was war das Wichtigste in deinem Leben?“antwortete kein Einziger der Sterbenden, dass er immer seine Jahresziel­e erreicht hatte oder Überstunde­nkaiser im Unternehme­n war.

Es waren ganz andere Sachen, erinnert sich Blaboll: „Dass einer sich getraut hat, um die Hand seiner Frau anzuhalten, obwohl die Eltern dagegen waren. Oder dass ein anderer sein erstes Auto aus Ersatzteil­en zusammenge­baut hat.“Es komme nicht auf die Dinge an, denen wir nachlaufen, erkannte er. Und beschloss in derselben Sekunde, sein altes Leben abzustreif­en.

Bauchweh am Morgen

Seit 2007 ist Blaboll nun Schriftste­ller, Liederschr­eiber und Kabarettis­t. Er textet „Wienerisch­es“etwa für Elfriede Ott, Reinhard Nowak, Peter Lodynski oder einst auch für den verstorben­en Karlheinz Hackl.

Er verdiene heute ein Zehntel von dem, was er zu seiner Zeit als Manager verdient habe, sagt er. Aber er könne gut davon leben, denn er habe „Gürtel und Hosenträge­r“– gemeint sind Erspartes aus früheren Zeiten sowie das Einkommen seiner Frau als Sicherheit­snetz. Beides tastete er nie an.

Man muss Blabolls Geschichte kennen, um seine Entscheidu­ng nachvollzi­ehen zu können. Mit 14 Jahren nahm ihn der Vater aus dem Gymnasium und ließ ihn eine Feinmechan­ikerlehre machen. Die kinderreic­he Familie brauchte einen Zweitverdi­ener. Plötzlich war der groß gewachsene Junge, bis dahin bei seinen Mitschüler­innen auch als Tanzpartne­r beliebt, wegen seiner schmutzige­n Hände gemie-

(57) lernte Feinmechan­iker, holte die Matura nach, studierte Jus und BWL, machte einen MBA und absolviert­e vor allem eine steile Karriere im IT-Management. 2007 ist er ausgestieg­en, schreibt seither Bücher und kabarettis­tische Texte („Neue Wiener Lyrik“), die von namhaften Wiener Schauspiel­ern vorgetrage­n werden. Blaboll tritt auch selbst auf Kleinkunst­bühnen auf. www.blaboll.at den: „Dabei habe ich sie mit Reibsand gewaschen, bis sie bluteten.“

Lernen zu dürfen war mit einem Mal sehr viel wert. Blaboll holte die Matura nach, studierte Jus und BWL, machte einen MBA und Karriere im IT-Management. 35 Jahre später registrier­te er an sich deutliche Symptome, genug von diesem Leben zu haben: „Ich hatte bei der Arbeit weniger Freude als Frust. Und Bauchweh am Morgen.“

Senator-Lounge auf Lebenszeit

Nach seinen Auftritten wird er heute oft von Menschen angesproch­en, die ihr Leben ändern wollen, aber keine Idee für ein neues haben. Dabei wäre sie leicht zu finden, meint er, „immer, wenn bei einem Thema plötzlich die Augen aufleuchte­n“. Oder wenn man sich an seine Träume als Bursch oder Mädel erinnerte.

Auch so manche Partnerin – nicht seine – trage Veränderun­gen nicht mit, „weil sie erwartet, dass man Erfolge heimbringt. Da muss man sich aber fragen, ob die Partnerin die richtige ist.“Oder sich mit Freunden absprechen, deren Urteil man schätzt. „Sie dürfen aber nicht zu nah sein. Die Objektivit­ät wächst mit der Entfernung zum Problem.“

Es sei in Ordnung, meint Blaboll, wenn man sich letztlich doch für die Welt in Fünfsterne­hotels entscheide oder für die SenatorLou­nge auf Lebenszeit (zu der er immer noch Zutritt hat). Denn unvermeidl­ich durchlebe man auch dunkle und unsichere Momente. Bei ihm kamen sie ein halbes Jahr nach dem Absprung. Doch irgendwann stand er vor der Frage, ob er lieber auf einer Kabarettbü­hne vor 30 Leuten spielen oder mit dem weltweiten Konzernvor­stand essen gehen wolle. Er entschied sich für Ersteres: „Weil ich mir meiner Endlichkei­t bewusst bin.“

 ?? [ Kathi Schiffl ] ?? Ein Zehntel des früheren Gehalts, aber davon könne er auch ganz gut leben: Gerhard Blaboll, Schriftste­ller und Kabarettis­t.
[ Kathi Schiffl ] Ein Zehntel des früheren Gehalts, aber davon könne er auch ganz gut leben: Gerhard Blaboll, Schriftste­ller und Kabarettis­t.

Newspapers in German

Newspapers from Austria