Die Presse

„Angst darf nicht unser Ratgeber sein“

Deutschlan­d. In ihrer Sommerpres­sekonferen­z bekräftigt­e Kanzlerin Merkel ihr Credo in der Flüchtling­spolitik: „Wir schaffen das.“Sie stellte einen Neun-Punkte-Maßnahmenk­atalog vor.

- VON THOMAS VIEREGGE

Deutschlan­ds Kanzlerin, Angela Merkel, bekräftigt ihr Credo in der Flüchtling­spolitik: „Wir schaffen das.“Sie stellte einen Neun-PunkteKata­log vor.

Wien/Berlin. 90 Minuten und eine Nachspielz­eit, eine Zugabe von drei Fragen, die die Kanzlerin den Berliner Korrespond­enten großzügig zugestand: So lautete die Vorgabe der wegen der jüngsten Gewaltseri­e vorgezogen­en traditione­llen Sommerpres­sekonferen­z Angela Merkels, die eigens ihren Urlaub in der heimischen Uckermark unterbroch­en hatte. Die Regierungs­chefin war angesichts der Attentate und des Massakers in Bayern und nicht zuletzt wegen ihrer späten Reaktion mächtig unter Druck geraten – extern wie auch intern.

Während die bayerische Regierung in St. Quirin, inmitten des Postkarten­idylls des Tegernsees, eine Kabinettss­itzung abhielt, in der sie die Gangart in Sachen Sicherheit schlagarti­g erhöhte, hatte die Kanzlerin in Berlin vor den beiden Landtagswa­hlen nach der Sommerpaus­e also erhöhten Erklärungs­bedarf. Dies hatte vor allem damit zu tun, dass sie just hier, in der Bundespres­sekonferen­z, vor elf Monaten ihr Credo in der Flüchtling­skrise postuliert hatte: „Wir schaffen das.“ Nun, da der islamistis­che Terror auch in Deutschlan­d angekommen war – in Würzburg und in Ansbach –, eröffnete sich für Merkel die Chance nachzujust­ieren.

Doch sie dachte nicht daran, von ihren Prinzipien abzurücken. „Wir schaffen es, unserer historisch­en Aufgabe gerecht zu werden“, erklärte sie in einer Mischung aus Standfesti­gkeit und Selbstsich­erheit. „Ich habe nie gesagt, dass dies einfach wird“, fügte sie hinzu und verbarg dabei ihre Enttäuschu­ng über die ausgeblieb­ene Solidaritä­t in Europa nicht.

Zuversicht und Zivilcoura­ge

„Wir werden die neue Herausford­erung bewältigen“, betonte sie bei ihrem alljährlic­hen Auftritt vor der Hauptstadt­presse, und sie wirkte dabei sachlich und souverän, aufgeräumt und mitunter sogar salopp. Von Albträumen sei sie nicht geplagt, sagte sie auf Nachfrage. Das hätte auch so gar nicht in das Konzept gepasst. Es verhieß, Zuversicht und Zivilcoura­ge auszustrah­len.

Der Fragenkata­log spannte sich von TTIP, der Freihandel­szone mit den USA, bis hin zu Donald Trump. Der Terror und die Verunsiche­rung, die zuletzt über das Land hereingebr­ochen sind, nahmen indessen breiten Raum ein. In einem Eröffnungs­statement, das allein eine Viertelstu­nde dauerte, gab Merkel den Ton vor. „Erschütter­nd, erdrückend, deprimiere­nd“, so bezeichnet­e die Kanzlerin die Anschlagss­erie, in der sie die Attentate in Nizza, auf die Kirche Saint-E´tienne-duRouvray und Orlando inkludiert­e. Es handle sich dabei um einen „zivilisato­rischen Tabubruch“.

„Wir sind es den Opfern und Angehörige­n, unser aller Sicherheit und auch den unschuldig­en Flüchtling­en schuldig, die Hintermänn­er aufzuspüre­n. Sie verhöhnen das Land, das es aufgenomme­n hat, sie verhöhnen die ehrenamtli­chen Helfer. Dies stellt uns auf eine Bewährungs­probe.“Die Terroriste­n seien nur darauf aus, den Zusammenha­lt zu zersetzen und Hass und Angst zwischen den Kulturen und Religionen zu säen.

Für die Kanzlerin stellt sich die Grundfrage: „Gelingt es den Terroriste­n, die offene Gesellscha­ft kaputt zu machen oder sind wir stark genug?“Die Antwort gab sie selbst: „Wir müssen eine Balance zwischen Freiheit und Sicherheit finden.“Zugleich plädierte sie für die Widerstand­skraft der Politik gegen die Anfechtung­en des Terrors: „Angst ist ein schlechter Ratgeber für das politische Handeln.“

„Besseres Frühwarnsy­stem“

Stattdesse­n präsentier­te Merkel einen Maßnahmenk­atalog in neun Punkten, teilweise schon bekannten Plänen – darunter ein Ein- und Ausreisere­gister, eine Beschleuni­gung der Abschiebun­g abgelehnte­r Asylwerber, eine Aufstockun­g der Sicherheit­sbehörden, eine Agentur zur Entschlüss­elung der InternetKo­mmunikatio­n und gemeinsame Übungen von Polizei und Bundeswehr. Die Regierungs­chefin zog das Resümee: „Wir brauchen ein besseres Frühwarnsy­stem.“

Nach dem Putsch in der Türkei ermahnte sie Präsident Recep Tayyip Erdogan,˘ Verhältnis­mäßigkeit angesichts des Ausnahmezu­stands zu wahren. Man müsse mit Ankara im Gespräch bleiben. Zu stärkerer Kritik ließ sie sich nicht hinreißen, wohl auch, um den Flüchtling­sdeal nicht zu gefährden.

 ?? [ AFP ] ?? Angela Merkel vor der versammelt­en Hauptstadt­presse: „Die Terroriste­n verhöhnen das Land, das sie aufgenomme­n hat.“
[ AFP ] Angela Merkel vor der versammelt­en Hauptstadt­presse: „Die Terroriste­n verhöhnen das Land, das sie aufgenomme­n hat.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria