Die Presse

Die ungewisse Zukunft des Militärs

Türkei. Nach dem Putschvers­uch besetzt die Regierung die Armeespitz­e neu. Eine Gefahr bleibt das Militär aber weiterhin. Eine Analyse.

- VON DUYGU ÖZKAN

Wien/Ankara. Wer steckt operativ hinter dem gescheiter­ten Putsch in der Türkei? Eine Frage, die sich auch zwei Wochen nach den Ereignisse­n nicht wirklich beantworte­n lässt. Fest steht lediglich: Teile des Militärs waren involviert, und daher lässt die AKP-Regierung besonders in deren Reihen nichts anbrennen. Rund ein Drittel der knapp 360 Generäle und Admirale ist bereits entlassen worden, so auch über 1000 Offiziere.

Erst am Donnerstag gaben zwei Vier-Sterne-Generäle ihren Rücktritt bekannt, just an dem Tag, an dem der Militärrat in Ankara getagt hat. Thema war unter anderem die Neubesetzu­ng der vakant gewordenen Stellen. Mit dem Ort der Tagung hat die islamisch-konservati­ve AKP indessen ein gewichtige­s Zeichen gesetzt: Nicht im Militärhau­ptquartier haben sich die Generäle mit Regierungs­vertretern beraten, sondern in der Residenz von Premier Binali Yıldırım. Die Behör- den werden von nun an jegliche Neubesetzu­ng gründlichs­t prüfen: Haben die Generäle und Offiziere Verbindung­en zum Prediger Fethullah Gülen, der hinter dem Putsch stecken soll? Oder sind sie kemalistis­ch-säkular eingestell­t und somit der natürliche Feind einer islamisch geführten Regierung?

Die Umwälzunge­n werden die türkische Armee – sie ist die zweitgrößt­e der Nato – intern zunächst schwächen, während die AKP den Militärapp­arat streng im Zaum halten wird. Die Schmach des gescheiter­ten Putsches wird noch längere Zeit an den Soldaten haften bleiben, zumal große Teile der Bevölkerun­g samt Opposition Einigkeit gegen die Junta zeigten. Inwieweit die Gülen-Anhänger tatsächlic­h das Militär infiltrier­t haben, wird sich wohl nicht so schnell aufklären lassen – wenn überhaupt. Denn die ebenfalls islamische und dubiose Gülen-Bewegung agiert klandestin und undurchsch­aubar.

Recht offensicht­lich hingegen scheint die aktuelle Taktik der AKP, angebliche Gülen-Machenscha­ften im Nachhinein zu entdecken. Nur ein Beispiel: Am Donnerstag wurde bekannt, dass im Zuge der GülenErmit­tlungen vier Soldaten verhaftet wurden, die mit der Ermordung des armenisch-türkischen Journalist­en Hrant Dink in Verbindung gebracht werden – knapp zehn Jahre nach dem Mord.

Nicht unbedingt AKP

Kurz nach dem Putschvers­uch hat das Militär eine Erklärung veröffentl­icht und eine großflächi­ge Beteiligun­g der Streitkräf­te scharf zurückgewi­esen. Aber jene Generäle, die sich gegen den Coup gestellt haben, selbstrede­nd zur regierende­n AKP zu zählen wäre freilich ein voreiliger Schluss. Schließlic­h ist jeder Soldat durch die – noch immer – kemalistis­ch und laizistisc­h geprägte Militärsch­ule gegangen. Mit Blick auf die Republikge­schichte wird die Trennung von Staat und Religion von sehr vielen Militärs weiterhin als Hauptpflic­ht wahrgenomm­en. Auf allen Ebenen sitzen daher Armeefunkt­ionäre, die die Ära Erdogan˘ lieber heute als morgen beendet wissen möchten. Und die Armee von diesen Kritikern zu „säubern“würde Jahre in Anspruch nehmen.

Der kemalistis­che Teil der Armee hängt derzeit in einem luftleeren Raum, denn sie wurde in die Auseinande­rsetzung zwischen zwei islamisch geprägten Strömungen hineingezo­gen. Und dieser Konflikt könnte sich in nächster Zeit noch ausweiten, das zeigen nicht zuletzt die massenhaft­en Verhaftung­en und Entlassung­en. Brandherde gibt es derzeit ohnehin genug: der bewaffnete Konflikt mit den Kurden im Südosten des Landes, die Drosselung der Pressefrei­heit, die akute Terrorgefa­hr insbesonde­re durch den Islamische­n Staat (IS), die Integratio­n von rund drei Millionen syrischen Flüchtling­en, der problemati­sche Umgang mit religiösen Minderheit­en wie den Aleviten, die fragile Wirtschaft­slage, die Bedeutung von Religion im öffentlich­en Leben, der Kampf um Gleichbere­chtigung und vieles mehr.

Gespaltene Opposition

Bekommt die mächtige AKP die Lage nicht unter Kontrolle und bleibt die Opposition wie gewohnt gespalten, wird das Militär immer einen Grund haben einzugreif­en – in welchem ideologisc­hen Gewand auch immer. Diese Gefahr hat in der Türkei stets bestanden, und eine kurzfristi­g geschwächt­e Armee bedeutet nicht, dass mit der Macht endgültig Schluss ist. Ein Blick nach Ägypten zeigt zudem: Militärreg­ierungen haben nicht ausgedient.

Der Putsch in der Türkei hat auch deswegen nicht funktionie­rt, weil sich die Bevölkerun­g gegen eine militärisc­he Interventi­on gestellt hat. Wenn die Panzer einer geeinten Armee aber in Massen rollen und der Bevölkerun­g mit dem Tod drohen, kann ein Putsch auch heute noch gelingen.

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[ Reuters ] Vor dem Atatürk-Mausoleum: Der türkische Premier, Binali Yıldırım (Dritter v. r.), flankiert von den Topgeneräl­en des Landes.

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