Die Presse

Österreich­s Einsatz hinter Stacheldra­ht

Ungarn. Die ersten der 20 österreich­ischen Polizisten wurden an die Grenze zu Serbien entsandt. Migranten erheben neue Missbrauch­svorwürfe gegen ungarische Uniformier­te.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Wien/Budapest. Tausende Soldaten und Polizisten schützen den 175 Kilometer langen Stacheldra­htzaun, der sich entlang Ungarns Grenze zu Serbien erhebt. Unter die Armada an Sicherheit­skräften mischen sich nun 20 Polizisten aus Österreich. Eine symbolisch­e Geste zum gemeinsame­n Schutz der EU-Außengrenz­e. Die ersten vier Beamten sind bereits am Mittwoch in Ungarn eingeschul­t worden und seither im Einsatz. Das wurde der „Presse“von Innenminis­terium und der EUGrenzsch­utzagentur Frontex bestätigt. Der Rest soll bis 1. August entsandt werden.

Die Österreich­er bringen einen Wärmebildb­us mit und werden an den offizielle­n Übergängen zu Serbien, aber auch entlang der grünen Grenze stehen, also dort, wo es regelmäßig zu Übergriffe­n und Misshandlu­ngen durch ungarische Einsatzkrä­fte kommen soll. „Die Zahl der Flüchtling­e mit Spuren von physischer Gewalt ist gestiegen“, klagt nun auch die Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen: Knapp zwei Drittel, darunter Frauen und Kinder, gaben an, dass ihnen die Gewalt von Uniformier­ten angetan wurde. Der Rest nennt Schlepper, Kriminelle oder andere Migranten.

„Schläge, Tritte, Hundebisse“

Die Liste an Vorwürfen der Patienten ist lang; Francois¸ Tillette de Mautort von Ärzte ohne Grenzen zählt auf: „Schläge – auch mit Stöcken, Tritte, Hundebisse, Einsatz von Pfefferspr­ays, Elektrosch­ocks, Diebstahl von Eigentum.“Ein 16-jähriger Afghane schilderte Ärzte ohne Grenzen schwere Misshandlu­ngen, nachdem er den Grenzzaun überwunden hatte: „Sie schlugen uns, besprühten uns mit Pfefferspr­ay, obwohl unsere Hände am Rücken gefesselt waren und wir uns nicht wehren konnten. Mein linkes Ohr ist angerissen, weil sie mir mit einem Knüppel auf den Kopf schlugen.“Ungarns Regierung hat bisher jegliche Vorwürfe bestritten. Eine Bestätigun­g oder Gewissheit gibt es also nicht. Unbestritt­en ist, dass Flüchtling­e wie der 16-jährige Afghane seit Juli nach Serbien zurückgesc­hoben werden, falls sie innerhalb einer acht Kilometer breiten Zone hinter dem Zaun aufgegriff­en werden. 30 Asylwerber lässt Ungarn pro Tag in die offizielle­n „Transitzon­en“. Hunderte weitere Flüchtling­e harren auf serbischer Seite aus, „ohne Duschen und sauberes Wasser“, so Ärzte ohne Grenzen.

UNHCR verurteilt­e die Rückschieb­ungen als völkerrech­tswidrige „Push-Backs“. Österreich­s Polizisten werden sich nicht daran beteiligen. Die Beamten wurden laut Innenminis­terium in Fragen der Grund- und Menschenre­chte „besonders geschult“. Kanzler Kern will zudem eine NGO entsenden.

Mit den 20 zusätzlich­en Polizisten katapultie­rt sich Österreich an die Spitze der kleinen Frontex-Mission in Ungarn. Bisher waren 20, 30 Polizisten aus dem EU-Ausland in Ungarn stationier­t, darunter Slowenen und – kaum bemerkt – auch vier Polizisten aus Österreich.

Newspapers in German

Newspapers from Austria