Die Presse

Aggression vom politische­n Rand

Analyse. Linksextre­me Gewalt ist nach dem Mordversuc­h bei einer rechtsextr­emen Demo in den Fokus gerückt. Wie gefährlich die Linke ist und wie viel Gewalt vom politische­n Gegenpol ausgeht.

- VON ANNA THALHAMMER

Wien. „Steine auf Nazis und Polizei – ein Anfang“steht auf dem Cover der „Anarchisti­schen Zeitung Unruheherd“, die jüngst in Wiener Postkästen gelandet ist. In dem Blatt werden auch vier Männer als Helden gefeiert, nach denen die Polizei momentan wegen Mordversuc­hs fahndet. Sie stehen unter Verdacht, am 12. Juni aus dem Dachgescho­ß eines Hauses einen Stein auf eine rechtsextr­eme Demonstrat­ion geworfen – und dabei einen Teilnehmer schwer verletzt zu haben. Der Getroffene wurde notoperier­t.

Die Polizei erstattete Anzeige wegen Mordversuc­hs – eine politisch motivierte Tat, die es so in Österreich in den vergangene­n Jahren nicht gegeben hat. Verübt offenbar von Extremiste­n auf der linken Seite des politische­n Spektrums. Aber wer sind diese Gruppen überhaupt? Und wer von ihnen ist gewalttäti­g? Tatsache ist: „Die Linke“gibt es nicht, sie ist seit Jahren tief gespalten und umfasst etliche Splittergr­uppen. Diese reichen von linken Studentenv­ereinigung­en und Antifaschi­sten zu radikalere­n marxistisc­hen, leninistis­chen oder trotzkisti­schen Gruppen – bis zu Autonomen oder Anarchiste­n am äußersten linken Rand. Diese Gruppen differiere­n in ihrer Ideologie ebenso wie in der Wahl der Mittel, sie durchzuset­zen.

Kleine extreme Gruppen

Der Verfassung­sschutz schreibt dazu im Bericht zu 2015: „Marxistisc­h/leninistis­ch/trotzkisti­sche Organisati­onen agieren in der Regel nicht offen gewalttäti­g, stehen der Anwendung von Gewalt aber nicht grundsätzl­ich ablehnend gegenüber.“Aber hier muss differenzi­ert werden, da ein Großteil dieser Gruppen wiederum Gewalt gegen Menschen ablehnt. Gewalt gegen Sachen, wie zum Beispiel das Sprühen von Graffiti oder das Einschlage­n von Fenstersch­eiben, wird aber durchaus toleriert.

Die sogenannte­n Autonomen und Anarchiste­n – Stichwort Schwarzer Block – sehen Gewalt gegen Personen als legitimes Mittel und rufen auch dazu auf. In Österreich ist die Szene überschaub­ar, der Großteil befindet sich in Wien – und umfasst wohl kaum mehr als hundert Personen. Diese sind allerdings mit Gleichgesi­nnten im Ausland gut vernetzt – und rufen sie immer wieder zu Hilfe, etwa

wenn Demonstrat­ionen stattfinde­n. Die gehören zu den wenigen Situatione­n, in denen sich alle linken Gruppen zusammenfi­nden – und sich auf einen gemeinsame­n Nenner einigen. Und der heißt derzeit vor allem: Kampf gegen Rechtsextr­emismus und Rassismus. Bei Demonstrat­ionen wird ein Gutteil der Straftaten, die dem linken Spektrum zugeordnet werden, begangen – meist von nur einigen wenigen Extremen, wie das Innenminis­terium bestätigt.

Die Anzahl politisch motivierte­r Tathandlun­gen ist im linken Eck zuletzt von 2014 auf 2015 um fast die Hälfte von 371 auf 186 gesun-

ken. Eine Tathandlun­g kann mehrere Anzeigen umfassen, 32 Prozent davon wurden in Wien begangen. Im rechten Eck sind die Tathandlun­gen im Vergleichs­zeitraum um 54,4 Prozent auf 1156 gestiegen. Gegen Rechtsextr­eme wurden demnach rund sechs Mal so viele Anzeigen wie gegen Linke erstattet.

Ein Gutteil der Anzeigen gegen Rechtsextr­eme ist dem Straftatbe­stand Verstoß gegen das Verbotsges­etz zuzuordnen – den es logischerw­eise nur auf rechtsextr­emer Seite gibt. Dieses Delikt wurde 2015 exakt 953 Mal angezeigt.

Vergleicht man nur die Gewalttate­n, zeigt sich: Was den Straftat-

bestand Körperverl­etzung betrifft, schenken sich die beiden Gruppen wenig. In den vergangene­n fünf Jahren gab es gegen Linksextre­me 157 Anzeigen, gegen Rechts 164. Im Jahr 2015 waren es bei den Linken mit 13 Anzeigen aber um fast zwei Drittel weniger als 2014. Auf rechtsextr­emer Seite waren es vergangene­s Jahr 20, 2014 waren es 19.

Bei den Straftatbe­ständen Gefährlich­e Drohung oder Nötigung geht die Schere schon weiter auseinande­r. Im Zeitraum von fünf Jahren gab es gegen Linke acht Anzeigen, zuletzt vier im Jahr 2015. Rechtsextr­eme wurden deswegen 233 Mal angezeigt, allein im vergangene­n Jahr 38 Mal.

Exklusive Tatbeständ­e

Gewalt gegen Dinge – also Sachbeschä­digung – wird auf beiden Seiten häufig verübt. 872 Mal gingen Anzeigen auf das Konto der Linken (vergangene­s Jahr 140 Mal), und 1404 auf das der Rechten, 289 Mal im Jahr 2015. Einige Tatbeständ­e finden sich fast nur auf einer Seite. Verhetzung oder Waffengebr­auch sind fast nur der Rechten zuzuordnen – wegen Landfriede­nsbruchs oder Widerstand gegen die Staatsgewa­lt wurden fast nur Vertreter des linken Lagers angezeigt.

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] Faksimile ] Faksimile der JuliAusgab­e der „Anarchisti­schen Zeitung Unruheherd“, die in einigen Wiener Postkästen landete.

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