Die Presse

Feind des Terrors – und Werkzeug zugleich

Medien und Gewalt. Mehrere französisc­he Medien zeigen keine Bilder der Attentäter mehr, manche verschweig­en auch die Namen: über Aktionen gegen den „Ruhm“der Täter und das Attentat als kulturelle­s Drehbuch.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Nennt ihn nur Feigling!“, forderten Amerikaner vor vier Jahren nach dem Massaker in einem Kino in Aurora. Wozu den Täter beim Namen nennen, wozu sein Gesicht zeigen? Sie wussten, dass der Amokläufer genau diese Art von „Ruhm“gesucht hatte, wie so viele vor ihm, und dass dieser „Ruhm“künftige Amokläufe fördern würde. Wie auch der Norweger Anders Behring Breivik den Attentäter in München mit inspiriert hat, der vor einer Woche, am fünften Jahrestag des Amoklaufs, zugeschlag­en hat. Möglichst viele sollten seinen Namen kennen, wollte Breivik seinerzeit, möglichst viele seinen Namen googeln – auch, um dadurch zu seinem „Manifest“über die Verteidigu­ng des Abendlands zu gelangen.

2012 erklärten also in den USA Einzelpers­onen, Medien und selbst Präsident Obama, den Namen des Amokläufer­s nicht erwähnen zu wollen. Die Initiative ging vom Bruder eines Opfers aus, seine Ankündigun­g verbreitet­e sich auf den sozialen Netzwerken, viele Tausende taten es ihm gleich, Nachahmung­stäter – aber nicht der blutigen Art. Der Science-Fiction-Autor David Brin schlug sogar lächerlich­e Ersatzname­n als Strafe vor.

Ein Tropfen auf dem heißen Stein

Die kollektive Aktion war symbolisch beeindruck­end, in der Wirkung freilich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. In Frankreich haben sich nun etliche Medien in bescheiden­erem Ausmaß zu mehr Selbstzens­ur entschloss­en, auch hier hat ein Einzelner es (mit) ausgelöst: Nach der Ermordung eines 86-jährigen Priesters in einer Kirche von SaintE´tienne-du-Rouvray durch zwei Islamisten forderte am Dienstag der politisch und publizisti­sch daueraktiv­e Philosoph BernardHen­ry Levi´ auf Twitter, es brauche eine „große Übereinkun­ft“zwischen den Medien: Diese sollten künftig weder Namen noch Bilder noch biografisc­he Informatio­nen über die Jihadisten preisgeben.

So weit ist ihm – unter Verweis auf die Informatio­nspflicht – zwar kein großes Medium des Landes gefolgt, dennoch scheint der Aufruf zur Selbstzens­ur gewirkt zu haben. Am Mittwoch erklärte der Chefredakt­eur von „Le Monde“, Jer´omeˆ Fenoglio, seine Zeitung werde keine Bilder und Videos mehr von den Terroriste­n veröffentl­ichen – als wichtig erachtete Informatio­nen allerdings sehr wohl („Die Presse“berichtete). Dazu gehören für „Le Monde“auch die Namen der Terroriste­n. Die katholisch­e Tageszeitu­ng „La Croix“nennt nur noch Vorname und Initial des Nachnamens, der Fernsehsen­der Europe 1 überhaupt keine Namen mehr, beide verzichten auf Bilder. Eine Petition auf change.org fordert ein Mediengese­tz, das den Verzicht auf Fotos, Namen und Details zur Pflicht macht. Gleichzeit­ig wird heftig diskutiert, es hagelt auch Polemik, unter anderem von der Front-National-Politikeri­n Marion Marechal-´ Le Pen und anderen Politikern ihrer Partei. Häufigstes Argument: Die Selbstzens­ur sei nur ein Vorwand – in Wahrheit wolle man damit die Verbindung zwischen Attentaten und Einwanderu­ng verschleie­rn . . .

„Ruhm“der Attentäter, einst und jetzt

Doch an das schon in den USA geforderte totale Verschweig­en der Namen denken ohnehin die wenigsten. Vor allem die Wirkung der Bilder will man eindämmen, die Selbst- und Gewaltdars­tellung der Islamisten, die Emotionali­sierung. Ihre Hoffnung auf „Ruhm“kann man dabei freilich kaum durchkreuz­en, dieser kommt ohnehin durch soziale Netzwerke – auf die jene, die Selbstzens­ur überlegen, gar keinen Einfluss haben. Ein wesent- licher Unterschie­d zu früheren Zeiten. Für den schwäbisch­en Amokläufer Ernst August Wagner, der 1913 seine Familie und ein Dutzend weitere Personen umbrachte, wäre eine Damnatio memoriae durch die Zeitungen tatsächlic­h noch eine Strafe gewesen – immerhin repräsenti­erten diese die Welt, der er in Erinnerung bleiben wollte; es gab praktisch keine andere Öffentlich­keit. Für den Attentäter auf Studentenf­ührer Rudi Dutschke und den Mörder John Lennons waren die etablierte­n Medien ebenfalls entscheide­nd, sie hofften, durch ihre Berichte ein Jemand zu werden. Für Terroratte­ntäter und deren Nachahmer hingegen sind die westlichen Medien verachtete­s Feindeslan­d.

Das Attentat als einladende­s Skript

Aber immerhin ein Werkzeug, um Schrecken zu verbreiten – je mehr Schreckens­bilder, desto wirksamer. Hierin haben Medien in aller Welt in den vergangene­n Jahren dazugelern­t. Was etwa französisc­he Medien soeben entschiede­n haben, ist, wie auch der Chefredakt­eur von „Le Monde“geschriebe­n hat, ein Ergebnis vieler Diskussion­en seit den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“im Jänner 2015. Und nicht nur der Eindruck der vergangene­n Wochen, auch statistisc­he Untersuchu­ngen im Buch „Die mediale Inszenieru­ng von Amok und Terrorismu­s“zeigen: Ob in den USA oder in Finnland (nach mehreren Schul-Amokläufen), das Gewicht der Berichters­tattung hat sich hin zu den Opfern verschoben.

Vernachläs­sigt wird hingegen nach wie vor die Gefahr einfacher Erklärunge­n: Egal, ob Amoklauf oder Terroratte­ntat, sie funktionie­ren mittlerwei­le wie eine Art kulturelle­s Drehbuch. Je gröber dabei die Deutungsmu­ster für die Tat, die präsentier­t werden (wie etwa Mobbing bei Schul-Amokläufer­n), desto größer die Einladung, sich mit den Tätern zu identifizi­eren, die Schablone zu übernehmen – und in der Folge deren „Lösungen“. „Es ist erschrecke­nd, wie ähnlich Eric mir war. Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich sein Leben noch einmal leben“, schrieb der Schul-Amokläufer von Emsdetten über einen der Amokläufer an der Columbine High School. Fragt sich nur: Wer hat ihm dieses Bild geliefert?

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