Die Presse

Kunst gegen die Wirklichke­it

Salzburg I. Kunst könne dem Leben Sinn geben, sagte der Philosoph Konrad Paul Liessmann in seiner Festrede zur Eröffnung der Festspiele.

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Kann man sich in Zeiten von Terror und Kriegen überhaupt noch ruhigen Gewissens der Kunst hingeben? Ja, sagte der Kulturphil­osoph Konrad Paul Liessmann in seiner Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele. „Das Kunstwerk, wenn es denn gelingt, genügt, um dem Leben nicht nur einen Sinn, sondern eine nahezu religiöse Aura zu verleihen, die es von allen anderen Bedingunge­n und Angelegenh­eiten des Daseins radikal entfernt.“

Gelingen könne die Kunst allerdings nur aus Freiheit: „Das Pathos, das die Kunst der Moderne kennzeichn­et und dem sich alle großen ästhetisch­en Errungensc­haften des 19. und 20. Jahrhunder­ts verdanken, liegt in diesem Anspruch auf Autonomie, auf Selbstgese­tzgebung, auf Unabhängig­keit von Märkten, Ideologien und Religionen. Und etwas davon spüren wir jedes Mal, wenn wir in einer gelungenen Aufführung eines Konzerts, eines Theaterstü­cks, einer Oper das Gefühl haben, dass es genau das ist, um dessentwil­len es sich zu leben lohnt, dass es genau diese Erfahrung ist, die einen Reichtum in sich trägt, der alles andere, wie bedeutsam, erschrecke­nd oder gewichtig es auch erscheinen mag, verblassen lässt.“

„Ist diese Kunsterfah­rung nicht eine ungeheure Flucht aus der Wirklichke­it?“, fragte Liessmann weiter, müsse die Kunst in Zeiten der Krise nicht in die Wirklichke­it eingreifen? „So hart es auch klingen mag: Die Kunst ist das eine, die politische Moral das andere. [. . .] Eine politisch korrekte Haltung ist noch kein Garant für gelungene Kunst“, sagte Liessmann und warnte vor der Vernachläs­sigung des Ästhetisch­en zugunsten von politische­m Aktionismu­s. Die Kunst sei „durch ihre schiere Vorhandenh­eit eine Kritik und ein Einspruch gegen die Wirklichke­it“. Letztlich zähle, „dass dem Menschen, diesem fehlerhaft­en, eitlen, grausamen und nicht besonders intelligen­ten Wesen, etwas nahezu Vollkommen­es gelingen kann, das keiner weiteren Rechtferti­gung mehr bedarf und das für sich Gültigkeit, über die Jahrhunder­te hinweg, beanspruch­en darf“. Die Rede im Wortlaut lesen Sie am Samstag im „Spectrum“.

Eröffnet wurden die Festspiele – in Ermangelun­g eines Bundespräs­identen – von Nationalra­tspräsiden­tin Doris Bures, die betonte, Europa brauche in diesen herausford­ernden Zeiten Gemeinsamk­eit, Vertrauen, Träume und Ziele. Die Angst, „die unserer Zukunft Grenzen setzt“, müsse überwunden werden. Kulturmini­ster Thomas Drozda bedauerte in seiner Rede, dass Europa derzeit als Projekt der ökonomisch­en und intellektu­ellen Eliten wahrgenomm­en werde, und forderte ein Bildungssy­stem, das gegen destruktiv­e Populisten immunisier­t. (APA/red.)

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