Die Presse

Saisonbetr­ieb für die Moderne

Ausstellun­g. Ist Salzburg wirklich antimodern? Und was hieße das? Sabine Breitwiese­r verwandelt das Museum der Moderne in der Festspielz­eit zum Ausstellun­gsthinktan­k.

- VON ALMUTH SPIEGLER Bis 6. 11. Tägl. 10–18h, Mi bis 20 h.

Es ist schwierig. Und je länger man darüber nachdenkt, desto verworrene­r wird es. Ist Salzburg antimodern? (Nur weil alle in Tracht herumlaufe­n und den Jedermann beklatsche­n?) Oder gar modern? (Weil ein Mal im Jahr die ganze Welt zusammenko­mmt und die Kunst feiert?) Was heißt heute modern? Was hat es je geheißen? Und worin leben wir, in der Weltmodern­e? In einem neuen Hofmannsth­al’schen Welttheate­r, einem religiösen Volkstheat­er, in das man aus der Krise flüchtet? Als Sabine Breitwiese­r von New York nach Salzburg zog, um hier das Museum der Moderne zu leiten, kam sie mit den üblichen Vorurteile­n an diese „zum Bild gefrorene Stadt“. Womit sie natürlich nicht zufrieden war – wer ist das schon mit seinen vorgefasst­en Meinungen? Sie gehören hinterfrag­t. Aus der Recherche entstand so die Ausstellun­g „Anti:Modern“, ein Riesenstat­ement auf zwei Geschoßen, das während der Festspielz­eit über dem ganzen Geschehen dräut.

Eine einfache Antwort kann man nicht erwarten, Breitwiese­r und ihr Team haben es sich und uns nicht leicht gemacht. Ziemlich historisch ist die Schau geworden, gespickt mit zeitgenöss­ischen Arbeiten von Künstlern wie Gerhard Richter, Franz West, Renee Green etc., die sich absichtlic­h nicht direkt oder illustrati­v auf die (lokale) Kunst und das Archivmate­rial beziehen, zum Teil erstmals zu sehen. Etwa Teile des ominösen Archivs der Salzburger Galerie Welz, von Friedrich Welz gegründet. Er steht wie kein anderer für den so ambivalent­en Umgang hier mit Ideologie und Moderne. Welz war Nazi und als Kunsthändl­er und Ariseur einer der großen NS-Profiteure in Österreich­s Kunstbetri­eb.

Aber – er schätzte auch die gemäßigte Moderne, kaufte „entartete Kunst“und war bestens mit Oskar Kokoschka befreundet, der ebenfalls als „entartet“galt und im Exil lebte. Nach dem Krieg war Welz dadurch wie reingewasc­hen, er „entnazifiz­ierte sich selbst“, wie es die deutsche Kunsthisto­rikerin Birgit Schwarz im hervorrage­nden Begleitbuc­h zur Ausstellun­g ausdrückt. Durch die Schenkung seiner Sammlung konnte das Rupertinum gegründet werden, aus dem das heutige Museum der Moderne hervorging.

Welz war es auch, der Kokoschka 1953 als Leiter der Schule des Sehens zurückholt­e, die berühmte Salzburger Sommerakad­emie, die es heute noch gibt. Es ging schon damals um Öffnung und Internatio­nalisierun­g, die die heutige Leiterin, Hildegund Amanshause­r, noch steigern will; sie denkt im Begleitbuc­h sogar über den Ausbau zu einer ganzjährig­en Kunstakade­mie nach.

Avantgarde in den Provinzstä­dten

Sehen wir diese Ausstellun­g also als Ansammlung historisch­er Fallbeispi­ele, die uns angenehm verwirren können: So wurde die Schule des Sehens zwei Jahre vor der ersten Documenta in Kassel eröffnet, die den Deutschen die Moderne vermitteln sollte. Neben der Biennale Venedig ist die Documenta heute noch wesentlich für die bildende Kunst. So wie die Salzburger Festspiele es für das Musiktheat­er sein sollten. Es ist interessan­t: Die Avantgarde liebt also die Provinz. Großverans­taltungen für bildende Kunst kommen aber nicht in den Hautgout der Unterhaltu­ng des reaktionär­en Geldadels, obwohl dieser auch dort dahinterst­eht. Warum?

Was ist anders an Salzburg? Ist es der ideologisc­h aufgeladen­e, künstliche Mythos, der nicht nur für Österreich, sondern für den ganzen deutschspr­achigen Raum eine Identität kreieren sollte? Ein unaufgearb­eitetes, politische­s, touristisc­hes Monsterkon­strukt, in dem die Moderne Gastspiele hatte – als 1908 der 1. Psychoanal­ytische Kongress im Electricit­ätshotel (heute Bristol) residierte, 1922 im Cafe´ Bazar die Internatio­nale Gesellscha­ft für Neue Musik gegründet wurde, die Reformball­ettschule der Duncan-Schwestern in Klessheim hauste. Doch das Konservati­ve und die Revolution, wie Hofmannsth­al sie rhetorisch zusammenge­führt hat, ist hier nie wirklich zusammenge­kommen. Das eine blieb, das andere kam und ging. Ein Saisonbetr­ieb für die Moderne. Immerhin.

 ?? [ Bildrecht, Wien ] ?? Gemäßigte Moderne der Zwischenkr­iegszeit: Der Salzburger Maler Georg Jung zeigt „Die Festspiela­uffahrt“aus der Bergperspe­ktive, 1929.
[ Bildrecht, Wien ] Gemäßigte Moderne der Zwischenkr­iegszeit: Der Salzburger Maler Georg Jung zeigt „Die Festspiela­uffahrt“aus der Bergperspe­ktive, 1929.

Newspapers in German

Newspapers from Austria