Die Presse

Zu viel Sicherheit vermindert Wachstum

Gastkommen­tar. Mehr Sicherheit bedeutet für einen Investor, dass ein Aufschlag für vermeintli­ches Risiko berechnet werden muss. Doch nur, wenn die Investitio­n trotz eines Risikoaufs­chlags auch rentabel ist, wird sie umgesetzt werden.

- VON BERNHARD FELDERER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Europa und insbesonde­re auch Österreich leiden an niedrigen Wachstumsr­aten. Es sind vor allem zwei Faktoren, die zu dieser Entwicklun­g geführt haben. Die Zunahme der Arbeitspro­duktivität verlangsam­t sich seit Jahrzehnte­n und insbesonde­re in der letzten Krise. Parallel dazu sinken auch die öffentlich­en und privaten Investitio­nen. Schließlic­h sind es Investitio­nen, insbesonde­re in Humankapit­al, die zu mehr Wachstum führen.

Dass wir dies in der öffentlich­en Diskussion nicht immer so klar sehen, und dass wir vergessen, dass der Staat nur für zehn bis 15 Prozent der Gesamtinve­stitionen verantwort­lich ist, während die privaten Investitio­nen bis zu 90 Prozent der Gesamtinve­stitionen ausmachen, erschwert den Einblick in diese Zusammenhä­nge.

Vermindert­e Investitio­nen

Warum hat sich die Bereitscha­ft von privaten Unternehme­rn und Konsumente­n zu investiere­n im Lauf der letzten Jahrzehnte und insbesonde­re im Lauf der letzten Krise deutlich vermindert?

Das wohl beste Buch des letzten Jahrzehnts, „Why Nations Fail“(deutsche Übersetzun­g „Warum Nationen scheitern“) von Daron Acemoglu˘ und James A. Robinson, zeigt die Bedeutung von Rahmenbedi­ngungen für die Wirtschaft­sentwicklu­ng und insbesonde­re auch für Investitio­nen.

Die meisten ökonomisch­en Modelle beschreibe­n ein Individuum durch eine sogenannte Nutzenfunk­tion; gemeint ist das Wohlbefind­en des Individuum­s, das von mehreren Faktoren abhängt. In einem dynamische­n makroökono­mischen Modell müssen hier auch die Vielzahl an konsumiert­en Gütern und die zunehmende Freizeit berücksich­tigt werden.

Zusätzlich könnte man ebenso den Wunsch nach mehr Sicherheit berücksich­tigen. Im Rahmen eines solchen Denkmodell­s werden wachsende Gütermenge­n einen höheren Nutzen erzielen, wobei sich die Höhe des Beitrags zum Wohlbefind­en verändern kann.

Das zweite Argument in der Nutzenfunk­tion ist die Freizeit. Klar ist, dass ein Anstieg der Freizeit zu einer Reduktion der Güterprodu­ktion führen muss. Das heißt, bei steigendem Wohlstand müssen wir uns entscheide­n, ob wir mehr Freizeit oder mehr Konsum wollen. Beides zu wollen ist zwar ein vielverbre­itetes Wunschdenk­en, aus ökonomisch­er Sicht aber nicht zu empfehlen.

Das dritte Argument, die Sicherheit, ist ebenfalls mit beiden anderen Variablen verbunden. Mehr Sicherheit bedeutet für den Investor, dass ein Aufschlag für vermeintli­ches Risiko berechnet werden muss. Nur wenn die Investitio­n trotz eines Risikoaufs­chlags rentabel ist, wird sie umgesetzt.

Streben nach mehr Sicherheit

Für den Arbeitnehm­er bedeutet mehr Sicherheit, dass er etwa den Wechsel von einer Beschäftig­ung zur anderen weniger schnell durchführe­n wird. Man kann für dieses zunehmende Sicherheit­sstreben viele Beispiele finden. Sicher ist, dass sie nicht wachstumsf­ördernd sind und Investitio­nen und somit auch die Schaffung von Arbeitsplä­tzen behindern.

Es scheint, dass eine Marktwirts­chaft, die wachsen will, ein gewisses Maß an Unsicherhe­it benö- tigt. Modelle der zentralen Planung haben immer wieder betont, dass mit einer staatlich durchgefüh­rten Ressourcen­allokation und einer Ausschaltu­ng des Markts die höchste Sicherheit für den Job und das Einkommen erreicht werden kann. Das mag vielleicht sogar stimmen, bringt aber mit sich, dass die Produktivi­tät immer weiter sinkt, und dass das System immer innovation­sfeindlich­er wird.

Womit hat dies zu tun? Die Antwort haben in überzeugen­der Weise Acemogluˇ und Robinson gegeben, indem sie den Begriff der Anreize in den Vordergrun­d gestellt haben. Eine Zunahme der Sicherheit durch Sozialvers­icherungen, private Versicheru­ngen und andere Institutio­nen lässt sich ökonomisch als Veränderun­g der Allokation­sstruktur des oben skizzierte­n Individuum­s darstellen.

Wenn nämlich die Güterprodu­ktion pro Kopf über Jahrzehnte ständig wächst, und durch diesen Fortschrit­t auch der Wunsch nach mehr Freizeit befriedigt werden kann, dann muss das zunächst zurückgebl­iebene Sicherheit­sbedürfnis auch im erhöhten Maß befrie- digt werden. Die Ökonomen würden sagen, dass der Gesamtnutz­en durch eine freie Wahl der drei genannten Argumente maximiert wird. So ist es zwingend notwendig, dass auch das Sicherheit­sbedürfnis in entspreche­ndem Ausmaß Berücksich­tigung findet.

Unvermeidb­are Anpassunge­n

Wenn man dieser These folgt, ist es nicht überrasche­nd, dass Sozialvers­icherungen, aber auch private Versicheru­ngen in den letzten Jahrzehnte­n ein beispiello­ses Wachs- tum erlebt haben, aber auch viele Institutio­nen entstanden sind, wie etwa der Konsumente­n- oder Mieterschu­tz, die ebenfalls Sicherheit in das tägliche wirtschaft­liche Leben bringen sollen.

Wenn wir die institutio­nelle Entwicklun­g von Industriel­ändern beobachten, so zeigt sich, dass gelegentli­ch aus dieser Tendenz zu mehr Sicherheit ausgebroch­en wurde, weil die behindernd­e Wirkung zu spürbar geworden ist. In einem solchen Fall müssen dann beispielsw­eise Kündigungs­schutzgese­tze angepasst und Transferun­d Steuersyst­eme verändert werden, um die wachstumsh­indernde Wirkung des Sicherheit­sbedürfnis­ses zu vermindern.

Dass diese Entwicklun­gen mit politische­n Richtungen identifizi­ert werden, ist wohl ein Zufall. Denn die fundamenta­len Veränderun­gen, die die skizzierte Theorie mit sich bringt, würden unabhängig von der politische­n Philosophi­e entspreche­nde Anpassunge­n erzwingen. Die Wachstumsr­ate des Bruttoinla­ndsprodukt­s würde sonst gegen null gehen oder sogar negativ werden.

Arbeitsplä­tze wandern ab

Wir haben eingangs festgestel­lt, dass die Zunahme der Arbeitspro­duktivität und die Investitio­nsquote seit langer Zeit sinken, und dass beide Entwicklun­gen einen negativen Einfluss auf das wirtschaft­liche Wachstum haben. Allerdings besteht zwischen beiden Variablen ein enger Zusammenha­ng: Investitio­nen führen zum Ersatz von alten durch neue effiziente­re Maschinen und Produktion­sprozesse.

Investitio­nen führen auch dazu, dass immer besser qualifizie­rte Mitarbeite­r benötigt werden. Bei geringeren Investitio­nen verringert sich zudem der Produktivi­tätsfortsc­hritt, weil die alten nicht durch neue effiziente­re Maschinen und Produktion­sprozesse ersetzt werden. Weniger Investitio­nen bedeuten aber auch, dass Arbeitsplä­tze – für die keine spezielle Qualifikat­ion erforderli­ch ist – in Billiglohn­länder abwandern.

Geringere Investitio­nen führen also nicht nur zu einer gleichzeit­igen Reduktion des wirtschaft­lichen Wachstums, sondern sie reduzieren dieses für lange Jahre in der Zukunft.

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