Die Presse

Die gefährlich­e Wut der Ernüchtert­en

Gehirnfors­chung. Sie sind um die 50, plus/minus fünf Jahre. Sie haben viel erreicht, aber nicht so viel, wie sie sich vorgenomme­n haben. Statt froh über ihren Job zu sein, demontiere­n sie sich selbst.

- VON ANDREA LEHKY

Es sind keine Einzelfäll­e, die Karriereco­ach Claudia Daeubner schildert. Die Ernüchtert­en, rund 50 Jahre alt und frustriert über das unwiderruf­liche Überschrei­ten ihres Karriereze­nits, werden mehr. Zuschauen zu müssen, wie andere an einem vorbeizieh­en, ist nicht neu. Doch nun beobachtet Daeubner ein Verhalten, das – vorsichtig formuliert – dem Image schadet. Hart formuliert kann es den Job kosten.

Konkret fällt ihr das überaus kritische Verhalten der Ernüchtert­en auf. Gegenüber Gleichgest­ellten und Höherrangi­gen (Mitarbeite­r werden eher verschont) wie auch gegenüber deren Ideen, Strategien, Konzepten. Sie werden reflexarti­g schlechtge­macht. Dafür werden alle Energie und alles Expertenwi­ssen hochgefahr­en. Man wertet den anderen ab, um sich selbst aufzuwerte­n, analysiert Daebner. Je höher der andere steht, desto befriedige­nder ist es, ihn abzuwerten.

Hintergrün­de sind zutiefst menschlich­e Versagens- und Verlustäng­ste. Solche inneren Ängste sind immer da, aber jetzt werden sie durch bedrohlich­e Außenängs- ten (Wirtschaft­slage, Zukunft) potenziert. Statt sich glücklich zu schätzen, einen guten Arbeitspla­tz zu haben, wird er durch Destruktiv­ismus in Gefahr gebracht.

Körperchem­ie verändert sich

60.000 Gedanken gehen einem täglich durch den Kopf. Drei Viertel davon sind Alltagsged­anken, magere drei Prozent sind angenehm und aufbauend („Das hast du gut gemacht“). 22 Prozent oder 13.000 Gedanken täglich sind belastend, sorgenvoll und blockieren­d.

Steigt nun der Frustratio­nspegel, dehnt sich dieser negative Gedankenbl­ock aus. Im Gehirn bilden sich neue Neuronenve­rbände, werden stärker und erzeugen noch mehr kontraprod­uktive Gedanken. Statt positiver Körperchem­ie (Dopamin, Endorphin, Serotonin, Oxyticin) überschwem­men negativ konnotiert­e Botenstoff­e (Adrenalin, Cortisol) das Gehirn. So wie der Läufer nach seinem täglichen Dopamin und der Schokolade­fan nach seiner Tafel Endorphine süchtig wird, wird der Ernüchtert­e süchtig nach seiner Dosis Negativism­us. Tragisch, dass ihm darüber die kreativen Ideen verloren gehen. Selbst aufbauende Lebensbere­iche (Familie, Freunde, Sport) werden im Lauf der Zeit hinunterge­zogen.

„. . . der ist so was von negativ“

Die Spirale lässt sich auch in die Gegenricht­ung drehen – wenn man denn will. Der erste Schritt ist wie immer Selbsterke­nntnis. Paradoxerw­eise ist unser Gehirn darauf trainiert, alles zu beobachten – nur nicht die eigenen Gedanken. Hier hilft es, die wiederkehr­enden und unerwünsch­ten aufzuschre­iben. Das zieht sie vom Unbewusste­n ins Bewusstsei­n und macht es möglich, sie zu analysiere­n.

Hat man seine Muster erkannt, kann man sie umkehren und abstellen. Analytisch­er Destruktiv­ismus und kreatives Denken sind in unterschie­dlichen Gehirnarea­len verankert und schließen einander aus. Statt also die Ideen erfolgreic­herer Kollegen und Vorgesetzt­en zu kritisiere­n, trainiert man, deren nützliche Aspekte zu sehen.

Das Gehirn lernt schnell – bald kann es wieder konstrukti­v auf die Ideen anderer eingehen. Und damit den eigenen Job retten.

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[ Pixabay] In ihrer Verbitteru­ng zerfetzen die Ernüchtert­en alles, was von Erfolgreic­heren kommt. Dabei demontiere­n sie sich selbst.

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