Olympische Spiele, blutige Gemetzel
August 1936. In Berlin ziehen die Nationalsozialisten alle Propagandaregister bei den XI. Olympischen Sommerspielen. Hinter der prächtigen und fröhlichen Kulisse unterstützt Deutschland den Putsch Francos gegen Spaniens Linksregierung.
Ab 1. August 1936 zelebrieren die Nazis die Spiele in Berlin. Zehn Jahre Hans Werner Scheidls „Die Welt bis Gestern“.
Im August 1936 laufen auf zwei Bühnen der Weltpolitik Stücke, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: In Berlin die Olympischen Sommerspiele, in Spanien die Eskalation des Bürgerkriegs zwischen Sozialisten/Kommunisten und den putschenden Militärs, die unter dem Kommando des Generals Francisco Franco y Bahamonde stehen. In Berlin trifft sich „die Jugend der Welt“zum friedlichen Wettkampf, und Hitler ist täglich im gigantischen neuen Stadion des Stararchitekten Werner March, wo er notgedrungen auch „US-Negern“applaudieren muss, wie dem alles überragenden Sprinter und Weitspringer Jesse Owens.
Zur selben Zeit pendelt der deutsche Geheimdienstchef, Konteradmiral Wilhelm Canaris, zwischen Sevilla, Lissabon und Berlin, um die deutsche Unterstützung für Franco mit Waffen, schwerem Gerät – und Soldaten zu forcieren. Hitler hat höchstes Interesse daran, die demokratisch gewählte Linksregierung in Spanien zu stürzen: Tief sitzt bei ihm die Furcht vor einer bolschewistischen Zange: Hie die Sowjetunion, dort ein kommunistisches Spanien.
Ein Triumph der Weimarer Republik
Zurück zu den XI. Olympischen Sommerspielen im Deutschen Reich. Bereits die Spiele 1916 waren vom IOC nach Berlin vergeben worden. Aber der Erste Weltkrieg führte zur Absage. Nach 1918 schloss das IOC Deutschland als „offiziellen Kriegsverursacher“aus der olympischen Gemeinschaft aus. Erst im Mai 1930 stellte die Reichshauptstadt ihre Kandidatur für 1936 vor. In der Endrunde votierten 43 IOC-Mitglieder für Berlin und 16 für Barcelona, bei acht Enthaltungen. Ein Triumph für die demokratische Weimarer Republik. Lange Jahre war Deutschland wegen des Weltkriegs ja aus der Völkergemeinschaft verbannt gewesen.
Hitlers neues Stadion
Es sollten sparsame Spiele 1936 werden. Deutschland, vom Bürgerkrieg zwischen der Rotfront und den Nationalsozialisten bereits heftig gebeutelt, hatte kein Geld. Doch dann, nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler 1933, wurde geklotzt, nicht gekleckert. Das alte Stadion nur aufstocken? Das schmeckte dem selbst ernannten verhinderten Architekten Hitler rein gar nicht. Ein ganz neues Stadion wurde von Werner March gebaut, wegen der schieren Höhe zwar ein Stockwerk tief in die Erde versenkt (was Hitler kritisierte), aber ein imposanter Bau, der seinesgleichen sucht. Die Qualität haben auch nachfolgende Generationen zu schätzen gewusst. Das Olympiastadion präsentiert sich heute noch fast unverändert.
Doch das waren bewältigbare Probleme. Schwerer wog die Skepsis bei vielen Sportlern, ins Hitler-Deutschland zu fahren. IOCPräsident Henri de Baillet-Latour, ein französischer Graf, erzwang daher von der Reichsregierung eine schriftliche Garantie, die Regeln der „Olympischen Idee“einzuhalten.
Boykott der Kommunisten
Einige Staaten kamen trotzdem nicht. Auch fehlten das sowjetische und das spanische Team: Die Kommunistische Internationale hatte 1935 beschlossen, als Protest gegen Hitler in Barcelona eine Arbeiter-Olympiade abzuhalten, die vierzehn Tage vor den Berliner Spielen beginnen sollte. Zahlreiche Genossen, viele aus Deutschland, fuhren nach Barcelona. Das Fest fand dann doch nicht statt, aber aus den Schlachtenbummlern bildete sich eine militärische Einheit, die Thälmann-Hundertschaft, benannt nach dem KPD-Führer, Keimzelle der Internationalen Brigaden, ohne die die Spanische Republik gegen Francos Truppen überhaupt keine Chance gehabt hätte.
Denn die Kräfteverhältnisse waren mehr als ungleich: Im Juli, als Franco seinen Putschversuch startete, hatte ein Großteil der 14.000 Offiziere den Eid auf die Republik vergessen. Und jene, die weiter zur gewählten Regierung standen, waren erschos- sen worden. Fest steht, dass die Sowjetunion (neben Mexiko) der einzige potente Bündnispartner für Madrid blieb und die Republik so in die Abhängigkeit von Moskau geriet.
Die deutsche Legion Condor
Allerdings sind die Sowjets bei den Krediten sehr viel weniger splendid als die faschistischen Mächte Deutschland/Italien gegenüber den Aufständischen. Das Militärwesen der Republikaner wird bald von der KP völlig dominiert. So verschiebt sich im Lauf des Kriegs das Kräfteverhältnis im republikanischen Lager: weg von der Revolution, hin zu einer autoritären Machtkontrolle, die den Niedergang der Republik freilich nicht aufhalten kann. Denn schon seit dem 29. Juli gibt es die von Deutschland aufgestellte Legion Condor: Vorläufig nur 6000 Mann, die in die Kämpfe auf Francos Seite eingreifen. Noch immer glaubt Premierminister Santiago Casares Quiroga an einen der üblichen Putschversuche. Ein Fehler.
Von unvorstellbaren Gräueltaten beider Seiten begleitet, marschiert Francos Truppe auf Madrid zu.
Inzwischen war in Berlin am 1. August das Olympische Feuer eingetroffen: Nach der genialen Idee des Generalsekretärs Carl Diem fand zum ersten Mal dieser Fackellauf mit dem Feuer aus Olympia statt. Er führte durch sieben Länder über eine Distanz von 3075 Kilometern, 3400 Läufer trugen das Magnesiumfeuer, die Metallfackel durften sie behalten. Angefertigt und gestiftet von der Firma Krupp . . .
Bevor das Olympische Feuer ins Olympiastadion gebracht wurde, feierte man seine Ankunft in einer Weihestunde mit 20.000 Hitlerjungen und 40.000 SA-Männern im Lustgarten. Am Nachmittag erklärte schließlich Adolf Hitler die XI. Spiele für eröffnet. Sie sollten zwei Wochen dauern. Erstmals wurden auch während der Siegerehrung die Nationalhymnen der Sieger abgespielt. Insgesamt wurden in 129 Wettbewerben in 19 Sportarten Medaillen vergeben, dazu fanden 15 Kunstwettbewerbe statt. Dass Werner March mit einer Goldmedaille geehrte wurde, verstand sich von selbst.
Legendär bleibt bis heute der schwarze US-Sprinterstar dieser Spiele, Jesse Owens. Er holte sich vier Goldmedaillen (100 m, 200 m, Weitsprung und 4 x 100 m Staffel) und war damit der erfolgreichste Athlet. Die Sympathien der Berliner gehörten diesem bescheidenen Studenten, was Hitler nolens volens zur Kenntnis nehmen musste, ebenso die enge Freundschaft mit dem deutschen Weitsprungrivalen Lutz Long: Der Hüne sah so aus, wie die Nazis alle gern ausgesehen hätten, vor allem Goebbels: Riesig, kräftig, blond. Lutz Long wurde „nur“Zweiter. Bei der Siegerehrung in Anwesenheit des Führers grüßte Long mit dem obligaten „deutschen Gruß“, Owens salutierte. „Hitler muss wahnsinnig geworden sein, als er sah, dass wir uns umarmten“, schrieb Owens später. „Das Traurige an der Geschichte ist, dass ich Long nie mehr gesehen habe. Er wurde während des Zweiten Weltkriegs getötet.“
Madrid in Flammen
Am 27. August 1936 geschieht das bisher Unvorstellbare: Madrid ist die erste europäische Hauptstadt seit dem Ersten Weltkrieg, deren Zivilbevölkerung aus der Luft bombardiert wird. Franco dienen dazu sechs deutsche JU-52, die Deutschland geliefert hat.
Drei Tage zuvor ist zwar in London ein Nichteinmischungspakt unterzeichnet worden. Doch weder das Deutsche Reich noch der Kreml kümmert sich darum. Am 25. August nimmt die Sowjetunion diplomatische Beziehung zum republikanischen Spanien auf – da steht Madrid schon in Flammen. Beginnt so ein neuer Weltkrieg?
Bis Ende August 1936 hatte Berlin schon 15 Millionen Reichsmark an Franco gezahlt. Bis Mitte Oktober sollten es bereits 45 Millionen werden. Dafür gab es als spanische Gegenleistung – neben den ersten Särgen mit deutschen Soldaten – Kupfer, Blei, Zink, Zinn, Eisenerz. Das Gemetzel sollte schließlich noch bis zum März 1939 dauern.