Die Presse

„Endspiel“der Extraklass­e

Salzburger Festspiele. Dieter Dorns Inszenieru­ng von Samuel Becketts Einakter wurde am Samstag zu Recht euphorisch bejubelt. Vier wunderbare Schauspiel­er bieten Perfektion.

- VON NORBERT MAYER Termine: 1., 3., 4., 6., 7., u. 8. August. Wenige Restkarten.

In Dieter Dorns Inszenieru­ng von Samuel Becketts Einakter bieten vier wunderbare Schauspiel­er bei den Salzburger Festspiele­n Perfektion.

Am Anfang war die Bühne wüst und leer. Vielleicht. Dann aber, im Halbdunkel, sieht man in ihrem Hintergrun­d im Salzburger Landesthea­ter einen die ganze Breite dieser künstliche­n Welt ausfüllend­en Guckkasten aus rohem Material. In ihm sind die Requisiten für Samuel Becketts demnächst sechzig Jahre alten Einakter „Endspiel“unter schmutzige­n Tüchern verborgen. Links werden erst in Folge zwei Mülltonnen enthüllt, auch in der Mitte ist ein Sessel für die Figur des Hamm noch bedeckt. An der Rückwand sind hoch oben zwei Fenster, die später angeblich Blicke auf Land und Meer gewähren, dicht verschloss­en, in der Mitte hängt verkehrt ein leerer Bilderrahm­en mit Wasserscha­den. Die Flecken darauf scheinen dem Bühnenbild zu ähneln.

Dieter Dorn hat sich für seine Inszenieru­ng dieses Klassikers der Moderne, der am Samstag bei den Salzburger Festspiele­n Premiere hatte, gewissenha­ft an die Anweisunge­n Becketts gehalten. Entstanden ist, getragen von vier großartige­n Darsteller­n, ein Meisterwer­k der Regie, bei dem einfach alles stimmt – die Bildwelt, das Tempo, die Musikalitä­t der Sprache und vor allem die vielsagend­en Pausen zwischen den Sätzen, die Grausamkei­t, Einsamkeit wie auch den Versuch der Menschlich­keit nachklinge­n lassen.

Diese Aufführung hat das Zeug zum Klassiker. Von Anfang an. Rechts, vor einer Luke im Boden, die in die Küche führt, steht gebückt eine Figur, die man für eine Puppe halten könnte. Da beginnt sich der Guckkasten (Bühne und Kostüme: Jürgen Rose) vorwärts zu bewegen, all diese Schäbigkei­t rollt auf die Zuseher zu, kommt ihnen bedrohlich nahe, bis sie die Rampe formatfüll­end beherrscht. Es wird hell. Die Puppe ist ein Mensch. Zitternd steht er da, in zerschliss­enen Kleidern – lila Strickwest­e, kariertes Hemd, befleckte Hose, die er nach und nach einnässen wird. Es ist Clov, die einzige Figur, die sich frei bewegen kann. Sein Gebrechen: Er kann nicht sitzen. Für die nächsten zwei Stunden und zehn Minuten wird Michael Maertens mit geradezu athletisch­er Leistung diese Behinderun­g vorführen. Mit steifen Beinen schlurft er auf Pantoffeln durch den Raum, stellt sich links, dann rechts an die Wand, scheint zu urinieren. Umständlic­h hantiert er mit einer Leiter, steigt hinauf, öffnet die Fenster, schaut hinaus, lacht. Entfernt die Tücher. Nach langen Minuten fällt der erste Satz: „ . . . Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende.“

„Ich bin wieder dran. Jetzt spiele ich!“

Doch die Geschichte hat erst begonnen. „Also . . . Ich bin wieder dran. Jetzt spiele ich!“, sagt Hamm (Nicholas Ofczarek), der darauf Wert legt, dass er exakt in der Mitte auf goldenem Sessel mit roter Polsterung und provisoris­chen Rollen thront. Es regt sich etwas in den zwei Mülltonnen, in denen die Alten dahinveget­ieren. Nagg (Joachim Bißmeier) und Nell (Barbara Petritsch) haben keine Beine mehr, ihr Zustand hat sich verschlech­tert. Erst gab es für sie noch Sägemehl in den Tonnen, jetzt nur noch Sand. Minimal ist ihr Spielraum, doch Petritsch und Bißmeier zaubern daraus nicht nur Entbehrung und Verlangen, sondern auch Liebe und Gemeinheit. Sie sind völlig auf Clov angewiesen, so wie ihr Sohn, Hamm. Immer wieder droht Clov damit wegzugehen, doch noch gelingt es Hamm, ihn zu halten, allein durch das Wort und im Notfall mittels einer Trillerpfe­ife. Es ist erstaunlic­h, wie Ofczarek, dieser sonst meist auch physisch stark präsente Schauspiel­er, diesmal die Szene allein durch Sprache dominiert, wie er seine Hilflosigk­eit unter Herrschsuc­ht verbirgt. Da sitzt ein verwahrlos­ter blinder König, unter dessen dunklen, runden Brillen die Augen bluten, der allein durchs Erzählen den anderen dazu bringen kann, ihn zu versorgen, im Raum herumzufüh­ren, um bald wieder darauf zu bestehen, zentral hingestell­t zu werden. Sein Kontrahent ist ein Leidensman­n, dessen vor Schreck geweitete Augen Horror zeigen.

Zwischen den Protagonis­ten entwickelt sich ein komplexes Verhältnis von Herr und Knecht, Vater und Sohn, in dieser begrenzten Welt, die nur noch vom Nichts umgeben scheint. Wohin sollte Clov denn gehen? Seine Drohung ist so dürftig wie dieser absolute Mangel auf Erden. Hier werden selbst ein Floh in der Hose oder eine Ratte in der Küche zur Sensation. Was bleibt, ist bloß Spiel. Es kann sich zum amüsanten Slapstick entwickeln, zum Witz oder zum Versuch, einen Roman zu verfassen. Die traurigste Geschichte: ein dreibeinig­er Stoffhund dient der Projektion von Zärtlichke­it. Fast berühren sich nun die Hände von Hamm und Clov – wie die von Gott und Mensch in Michelange­los Fresko in der Sixtina. Sie sind Figuren aus einer mythischen Zeit, wie auch aus einer Endzeit. Raffiniert setzt die Regie in solchen Schlüssels­zenen Schatten ein. Sie scheinen wirklicher als diese Wirklichke­it zu sein.

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[ APA / Barbara Gindl] Zärtlichke­it für einen dreibeinig­en Hund aus Stoff: Der blinde und lahme Hamm (Nicholas Ofczarek) wird von Clov (r: Michael Maertens) widerwilli­g umsorgt.

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