Die Presse

Papa Potter

Zauberer-Saga. Im achten, in Gestalt eines Theaterstü­cks erschienen­en Teil rückt J. K. Rowling einen Vater-SohnKonfli­kt in den Mittelpunk­t – und weicht die Grenzen zwischen Gut und Böse weiter auf.

- VON THOMAS KRAMAR

Im achten, in Gestalt eines Theaterstü­cks erschienen­en Teil der Zaubersaga „Harry Potter“rückt J. K. Rowling einen Vater-SohnKonfli­kt in den Mittelpunk­t.

All was well.“In diesen schönen Schlusssat­z mündete 2007 der siebte Teil der Harry-Potter-Saga. Besser gesagt: dessen Nachspiel, eine Vorausscha­u („19 Jahre später“), in der man ganz kurz Ron und Hermine, Harry und Ginny als Eltern sieht, wie sie die nächste Generation zum Zug in die Zauberersc­hule bringen.

Alles war gut, aber es bleibt nicht gut, sonst gäbe es ja keinen Grund für eine Fortsetzun­g. Was stört die Harmonie, was treibt die Handlung von „Harry Potter and the Cursed Child“? Im Grunde ein Vater-Sohn-Konflikt. Das ist ein ganz neues Motiv in Rowlings Geflecht, in dem bisher die zentralen Figuren vaterlos waren. Und heimatlos, verloren („forlorn“blickt Harry Potter auch diesmal laut einer Regieanwei­sung drein): Der gute Potter, der böse Tom Riddle vulgo Voldemort und der zwischen Gut und Böse changieren­de Snape, sie seien alle „abandoned boys“, schrieb Rowling im siebten Teil. Verlassene Buben, die in Hogwarts ihr erstes Heim gefunden haben.

Harry ist eine Erlöserfig­ur

„Das arme Waisenkind, gekommen, um uns alle zu retten“: So verspottet nun Albus Potter seinen Vater – und bringt damit ein zentrales Motiv auf den Punkt. Denn Harry Potter ist eine Erlöserfig­ur, und wie viele Erlöserfig­uren der Religionen und Helden der Mythen, von Ödipus über Moses bis Jesus, war er als kleines Kind einer lebensbedr­ohlichen Gefahr ausgesetzt. Er ist, so eine stehende Formel in Hogwarts, „the boy who lived“, der Bub, der den Angriff Voldemorts überlebt hat und daher auserkoren ist, diesen zu besiegen. Die Narbe, die ihm von diesem Angriff geblieben ist, schmerzt ihn jetzt wieder, und wie im Wundfieber spricht er von sich selbst als Kind, das sterben muss, um die Welt zu retten.

In der grauen Wirklichke­it ist er ein wenig ambitionie­rter höherer Magiebeamt­er, auch nicht sonderlich glücklich. Vor allem, weil er mit seinem Sohn Albus nicht zurechtkom­mt, ihn nicht versteht. „Wenigstens hast du einen Vater“, sagt er ihm, Albus erwidert: „Ich wünschte, du wärst nicht mein Vater“, Harry gibt zurück: „Manchmal wünsche ich, dass du nicht mein Sohn wärst.“Eisige Szenen.

Am meisten kränkt den alten Potter, dass sein Sohn mit dem Spross der Familie befreundet ist, die den mit dem Voldemort-Faschismus sympathisi­erenden Adel repräsenti­ert: mit Scorpius Malfoy. Dass sich dieser als gar nicht so unsympathi­sch herausstel­lt, dass sein Vater Draco nun weniger als kalter Aristokrat denn als ebenfalls besorgter Vater gezeichnet wird, ist eine für Rowling typische Wendung: Bei ihr zeigen die Lichtfigur­en – sogar der grundgütig­e Direktor und Ersatzvate­r Dumbledore – irgendwann eine dunkle Seite, und die Bösen sind kaum je nur böse. Und wenn, dann hat das einen seelischen Grund: „Tom Riddle was also a lonely child“, sagt Draco.

Reisen mit dem Zeit-Umkehrer

Was also ist die Mission des Sohnes Albus? Die Fehler, die Schuld seines Vaters zu korrigiere­n. Praktische­rweise mit dem Gerät namens TimeTurner, das bereits im dritten Band eingesetzt worden ist. Diesmal geht die Zeitreise zurück in den vierten Band, zum trimagisch­en Turnier, das Harry nur überlebt hat, weil an seiner Stelle Cedric Diggory gestorben ist. Dessen Cousine Delphi will die Zeitreisen beherrsche­n: „I am the new past, I am the new future“, sagt sie unheilvoll – und erweist sich schließlic­h als Tochter von . . .

Genug verraten. Delphis Versuch, die Voldemort-Diktatur durch Eingriff in die Vergangenh­eit zu etablieren, kann schließlic­h rückgängig gemacht werden, und so tritt auch die Prophezeiu­ng nicht dauerhaft ein, die da heißt: „When unseen children murder their fathers: then will the Dark Lord return.“So klingt auch noch ein ödipales Motiv an, das in der Familie Potter quasi sublimiert wird: „I’m a parent who hasn’t seen his child“, sagt Harry und erklärt: Das heiße, er habe es nicht verstanden. Da will er sich bessern, am Ende schaffen Vater und Sohn beinahe eine Umarmung. „My childhood was a constant struggle“, gesteht Harry. „So was mine“, antwortet Albus.

Unkomplizi­erter ist das Familienle­ben bei Ron und Hermine, die einander, wie aus der Schule gewohnt, nun eben als Ehepaar, liebevoll häkeln: „Keine Ahnung, wo sie ihren Ehrgeiz herhat“, sagt Ron etwa einmal über seine Tochter. Leider nicht weitergesp­onnen wird ein Motiv aus dem dritten Band, das die politische Bedeutungs­ebene der Potter-Saga bereichert hat: Hermines quasi gewerkscha­ftliches Engagement für unterdrück­te Hauselfen. Aber man kann, vor allem im Theater, nicht alles weiterspin­nen, und Rowling braucht ja auch noch etwas Garn für weitere Teile, mit denen trotz neuer Dementi wohl zu rechnen ist: Über das Seelenlebe­n Tom Riddles würden wir etwa gern noch einiges lernen . . .

„Harry Potter and the Cursed Child“, als Theaterstü­ck verfasst von J. K. Rowling und Jack Thorne, hatte am Samstag Weltpremie­re im Londoner Palace Theatre. In Buchform ist es am Sonntag (am Geburtstag von Rowling und Harry Potter) erschienen, die deutsche Übersetzun­g kommt am 24. September in den Handel.

 ?? [ Manuel Harlan ] ?? „Ich wünschte, du wärst nicht mein Vater“: Jamie Parker als Harry Potter, Sam Clemmett als Albus Potter.
[ Manuel Harlan ] „Ich wünschte, du wärst nicht mein Vater“: Jamie Parker als Harry Potter, Sam Clemmett als Albus Potter.

Newspapers in German

Newspapers from Austria