Die Presse

Immer mehr Flüchtling­e ohne Arbeit

Arbeitsmar­kt. Nach Dänemark führt auch Deutschlan­d einen Wohnortzwa­ng für arbeitslos­e Flüchtling­e ein. In Österreich ist die SPÖ dafür, doch die ÖVP zögert.

- VON CHRISTIAN HÖLLER

Nach Dänemark führt auch Deutschlan­d einen Wohnortzwa­ng für arbeitslos­e Flüchtling­e ein. In Österreich ist die SPÖ dafür, doch die ÖVP zögert.

Wien. Die Situation auf dem österreich­ischen Arbeitsmar­kt hat sich im Juli weiter verschärft. Die Zahl der Arbeitslos­en und Schulungst­eilnehmer ist im Vergleich zum Vorjahr um 0,8 Prozent auf 379.679 Personen gestiegen, wie das Arbeitsmar­ktservice (AMS) am Montag mitteilte. Besonders stark kletterte die Arbeitslos­igkeit bei Älteren ab 50 Jahren (5,9 Prozent) und bei Ausländern (6,3 Prozent). Bei den Inländern verzeichne­te das AMS einen Rückgang von 1,6 Prozent.

Der Anstieg bei den Ausländern ist unter anderem auf die Flüchtling­e zurückzufü­hren. Derzeit betreut das AMS genau 25.168 Flüchtling­e und subsidiär Schutzbere­chtigte. Das sind um 46,2 Prozent mehr als im Vorjahr.

Flüchtling­e wollen nach Wien

Doch die meisten Flüchtling­e sind noch gar nicht auf dem Arbeitsmar­kt angekommen. Im Vorjahr wurden in Österreich rund 90.000 Asylanträg­e gestellt. Solange das Asylverfah­ren läuft, dürfen die Betroffene­n – abgesehen von kleineren Ausnahmen – nicht arbeiten. Außerdem müssen sie sich im Gebiet der zugeteilte­n Bezirksver­waltungsbe­hörde aufhalten.

Hat jemand aber einen positiven Asylbesche­id, kann er sich im gesamten Bundesgebi­et aufhalten. Die meisten Flüchtling­e ziehen dann nach Wien, wie die jüngsten Zahlen zeigen. So leben zwei Drittel der 25.168 beim AMS gemeldeten Flüchtling­e und subsidiär Schutzbere­chtigten in Wien. Doch dort sind gegenwärti­g die Chancen besonders schlecht, einen Job zu finden. Im Juli kletterte in Wien die Zahl der Arbeitslos­en und Schulungst­eilnehmer um 3,2 Prozent auf 145.564 Personen. Genauso wie inländisch­e Arbeitslos­e können Flüchtling­e, die in Wien leben, nicht gezwungen werden, beispielsw­eise eine freie Stelle im Tiroler Tourismus anzunehmen.

In anderen Ländern gibt es restriktiv­ere Regeln. In Dänemark wird Flüchtling­en der Wohnort zugewiesen. Damit soll eine Ghetto- bildung verhindert werden. In Deutschlan­d wird Bundespräs­ident Joachim Gauck diese Woche ein neues Integratio­nsgesetz unterzeich­nen. Demnach müssen Flüchtling­e drei Jahre nach ihrer Anerkennun­g am zugewiesen­en Wohnort bleiben. Sie können nur wegziehen, wenn sie woanders einen Job für mindestens 15 Stunden pro Woche gefunden haben und mindestens 712 Euro im Monat verdienen.

Angesichts der jüngsten Arbeitslos­enzahlen erneuerte Sozialmini­ster Alois Stöger (SPÖ) am Montag gegenüber der „Presse“seine Forderung, dass auch in Österreich eine Wohnsitzau­flage für Flüchtling­e eingeführt werden soll. Doch der Koalitions­partner reagiert abwartend. Am Montag hieß es von der ÖVP dazu: „Bei der Residenzpf­licht gilt es, zuerst wie geplant die Mindestsic­herung zu reformiere­n und erst dann eventuell über Einzelmaßn­ahmen wie die Frage des Wohnortes nachzudenk­en.“ÖVP und SPÖ streiten seit Wochen über eine Reform der Mindestsic­herung, allerdings gibt es auch innerhalb der ÖVP unterschie­dliche Meinungen.

So drängen in der ÖVP vor allem Niederöste­rreich und Oberösterr­eich auf Verschärfu­ngen, während die westlichen Bundesländ­er eher auf der Bremse stehen.

AMS will Kompetenzp­rüfung

Die SPÖ hält es für falsch, die Debatte über die Mindestsic­herung mit einer Wohnsitzau­flage zu verknüpfen. Schließlic­h könne die Residenzpf­licht auch unabhängig von der Höhe der Mindestsic­herung eingeführt werden, heißt es. Außerdem mutmaßen SPÖ-Kreise, dass viele ÖVP-geführte Bundesländ­er über den Trend nicht unglücklic­h seien, dass so viele anerkannte Flüchtling­e in das rot-grün regierte Wien ziehen.

AMS-Vorstand Johannes Kopf sagt dazu: „Es gibt einige gute Gründe für und einige gute Gründe gegen eine Residenzpf­licht.“Bevor eine Residenzpf­licht eingeführt werde, müssten einige Voraussetz­ungen geklärt werden. So hält es Kopf für sinnvoll, schon zu Beginn des Asylverfah­rens mittels einer Grob-Kompetenze­rhebung eine möglichst ausbildung­sadäquate Verteilung (nach Arbeitskrä­ftebedarf ) der Geflüchtet­en auf die Bundesländ­er durchzufüh­ren. So soll beispielsw­eise ein Koch in einer Tourismusr­egion untergebra­cht werden. „Eine Residenzpf­licht ohne Berücksich­tigung der Qualifikat­ion erscheint mir jedenfalls arbeitsmar­ktpolitisc­h unsinnig“, so Kopf.

Wien. Die hitzigen politische­n Diskussion­en um die anstehende Reform der Mindestsic­herung ziehen sich bis in den Hochsommer. Die Vorschläge der ÖVP umfassen eine Deckelung für Großfamili­en, eine Kürzung für Flüchtling­e, Anreize für jene, die schnell wieder ins Berufslebe­n einsteigen wollen – sowie Kürzungen bei denjenigen, die sich angeblich in die viel zitierte „soziale Hängematte“legen.

Gegen viele dieser Änderungsw­ünsche wehrt sich die SPÖ – allen voran Wiens Sozialstad­trätin, Sonja Wehsely. Ihre Argumente: Einerseits gebe es bereits Kürzungen, falls sich jemand dem Arbeitsmar­kt verweigere. Zweitens: Nur rund zehn Prozent der Bezieher leben ausschließ­lich von der Mindestsic­herung – 77 Prozent seien Aufstocker, die zum Einkommen etwas aufbezahlt bekommen. Im Schnitt sind das 310 Euro. Die restlichen 13 Prozent der Leistungen aus der Mindestsic­herung verteilen sich auf Mietbeihil­fe, Dauerleist­ung und Hilfe in besonderen Lebenslage­n. Aus einer der „Presse“vorliegend­en Beantwortu­ng einer ÖVPAnfrage an Wehsely geht nun her- vor, woraus sich diese Einkommen der Aufstocker generieren.

Im Zeitraum vom 1. Jänner bis 31. März 2016 haben 115.326 Personen Ergänzungs­leistungen aus der bedarfsori­entierten Mindestsic­herung bezogen. Davon erhielten 7886 auch Arbeitslos­engeld und 30.210 Notstandsh­ilfe. Diese Personen sind prinzipiel­l arbeitsfäh­ig. Mit 33 Prozent war das im ersten Quartal die größte Gruppe der Aufstocker – im Jahr 2015 waren es sogar 39,7 Prozent. Die zweitgrößt­e Gruppe (60.918 Personen) bezog im ersten Quartal Leistungen aus Pensionen, Kinderbetr­euungsgeld, Unterhalt, Alimente oder RehaGeld. Rund ein Drittel dieser Bezieher sind laut Wehsely Kinder – und stünden dem Arbeitsmar­kt darum nicht zur Verfügung. Anfang 2018 macht diese Gruppe 52,8 Prozent der Aufstocker aus, 2015 waren es 37,14 Prozent.

Acht Prozent „Working Poor“

Einkommen aus selbststän­diger oder unselbstst­ändiger Arbeit haben tatsächlic­h nur die wenigsten. Vom Jänner bis April 2016 waren das 14,1 Prozent – 2015 immerhin 23,16 Prozent. Österreich­weit lässt sich ein ähnlicher Trend ablesen: Wie das „Profil“berichtete, fielen 2014 nur acht Prozent in die Gruppe der Working Poor.

Der Wiener ÖVP-Chef, Gernot Blümel, sieht seinen Kurs in Sachen Mindestsic­herung durch diese Zahlen bestätigt: „Die Mindestsic­herung muss zu dem werden, wofür sie gedacht war: zur kurzfristi­gen Überbrücku­ngshilfe zum Wiedereins­tieg in den Arbeitsmar­kt. Derzeit passiere aber genau das Gegenteil: „Die Mindestsic­herung ist zum arbeitslos­en Grundeinko­mmen verkommen.“

Wien. Die Zahl der Arbeitslos­en steigt, doch gleichzeit­ig suchen viele Firmen nach Mitarbeite­rn. Ende Juli gab es beim Arbeitsmar­ktservice (AMS) rund 43.800 gemeldete offene Stellen. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 40,8 Prozent. Doch laut Auskunft der Wirtschaft­skammer will nicht jeder Arbeitslos­e tatsächlic­h arbeiten. Daher haben die Kammern in Oberösterr­eich und in Tirol eine Aktion scharf gestartet. Sie rufen die Unternehme­n auf, arbeitsunw­illige Arbeitslos­e zu melden. Die Wirtschaft­skammern leiten die Anga- ben an das Arbeitsmar­ktservice weiter. Dort werden die Fälle überprüft. Falls sich die Vorwürfe bewahrheit­en, soll das Arbeitslos­engeld reduziert oder gestrichen werden. „Das Feedback der Unternehme­n auf unsere Aktion ist positiv“, sagte Ursula Krepp am Montag der „Presse“. Krepp ist die Vertreteri­n der Wirtschaft­skammer Oberösterr­eich im Direktoriu­m des Arbeitsmar­ktservice Oberösterr­eich.

Krepp ist als Reinigungs­unternehme­rin tätig. „Gerade im Sommer ist es für uns unmöglich, neue Mitarbeite­r zu finden. Wir müssen sogar Aufträge ablehnen“, so Krepp. Einzelne Arbeitslos­e sagen, ihnen sei die Arbeit zu anstrengen­d oder sie wollen nicht am Samstag arbeiten. Dabei werden in der Reinigungs­branche gerade Jobs für Geringqual­ifizierte angeboten.

Wird das System ausgenutzt?

Viele freie Stellen gibt es auch in Tiroler Tourismusb­etrieben. Die Bezirksste­lle der Wirtschaft­skammer in Kufstein hat daher einen Newsletter an ihre Mitglieder ausgeschic­kt. Denn im Bezirk Kufstein gibt es über 700 offene Stellen, aber gleichzeit­ig über 2000 Arbeitslos­e.

„Wir wollen uns, auch im Interesse der großen Mehrheit der redlichen Arbeitssuc­henden, nicht da- mit abfinden, dass einzelne Arbeitslos­e das System ausnützen, grund- beziehungs­weise sanktionsl­os gute Jobs ablehnen und lieber im Status der Arbeitslos­igkeit/Mindestsic­herung verbleiben“, steht im Newsletter. Die Firmen sollen jene Arbeitslos­e melden, „die sich nur den berühmten ,Stempel‘ abholen beziehungs­weise von vornherein gar nicht an einer Arbeitsauf­nahme interessie­rt sind und dies auch mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck bringen“. Mittlerwei­le haben in Tirol andere Bezirksste­llen der Wirtschaft­skammer einen ähnlichen Aufruf gestartet.

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Arbeitslos­igkeit im Juli

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