Immer mehr Flüchtlinge ohne Arbeit
Arbeitsmarkt. Nach Dänemark führt auch Deutschland einen Wohnortzwang für arbeitslose Flüchtlinge ein. In Österreich ist die SPÖ dafür, doch die ÖVP zögert.
Nach Dänemark führt auch Deutschland einen Wohnortzwang für arbeitslose Flüchtlinge ein. In Österreich ist die SPÖ dafür, doch die ÖVP zögert.
Wien. Die Situation auf dem österreichischen Arbeitsmarkt hat sich im Juli weiter verschärft. Die Zahl der Arbeitslosen und Schulungsteilnehmer ist im Vergleich zum Vorjahr um 0,8 Prozent auf 379.679 Personen gestiegen, wie das Arbeitsmarktservice (AMS) am Montag mitteilte. Besonders stark kletterte die Arbeitslosigkeit bei Älteren ab 50 Jahren (5,9 Prozent) und bei Ausländern (6,3 Prozent). Bei den Inländern verzeichnete das AMS einen Rückgang von 1,6 Prozent.
Der Anstieg bei den Ausländern ist unter anderem auf die Flüchtlinge zurückzuführen. Derzeit betreut das AMS genau 25.168 Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte. Das sind um 46,2 Prozent mehr als im Vorjahr.
Flüchtlinge wollen nach Wien
Doch die meisten Flüchtlinge sind noch gar nicht auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Im Vorjahr wurden in Österreich rund 90.000 Asylanträge gestellt. Solange das Asylverfahren läuft, dürfen die Betroffenen – abgesehen von kleineren Ausnahmen – nicht arbeiten. Außerdem müssen sie sich im Gebiet der zugeteilten Bezirksverwaltungsbehörde aufhalten.
Hat jemand aber einen positiven Asylbescheid, kann er sich im gesamten Bundesgebiet aufhalten. Die meisten Flüchtlinge ziehen dann nach Wien, wie die jüngsten Zahlen zeigen. So leben zwei Drittel der 25.168 beim AMS gemeldeten Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigten in Wien. Doch dort sind gegenwärtig die Chancen besonders schlecht, einen Job zu finden. Im Juli kletterte in Wien die Zahl der Arbeitslosen und Schulungsteilnehmer um 3,2 Prozent auf 145.564 Personen. Genauso wie inländische Arbeitslose können Flüchtlinge, die in Wien leben, nicht gezwungen werden, beispielsweise eine freie Stelle im Tiroler Tourismus anzunehmen.
In anderen Ländern gibt es restriktivere Regeln. In Dänemark wird Flüchtlingen der Wohnort zugewiesen. Damit soll eine Ghetto- bildung verhindert werden. In Deutschland wird Bundespräsident Joachim Gauck diese Woche ein neues Integrationsgesetz unterzeichnen. Demnach müssen Flüchtlinge drei Jahre nach ihrer Anerkennung am zugewiesenen Wohnort bleiben. Sie können nur wegziehen, wenn sie woanders einen Job für mindestens 15 Stunden pro Woche gefunden haben und mindestens 712 Euro im Monat verdienen.
Angesichts der jüngsten Arbeitslosenzahlen erneuerte Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) am Montag gegenüber der „Presse“seine Forderung, dass auch in Österreich eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge eingeführt werden soll. Doch der Koalitionspartner reagiert abwartend. Am Montag hieß es von der ÖVP dazu: „Bei der Residenzpflicht gilt es, zuerst wie geplant die Mindestsicherung zu reformieren und erst dann eventuell über Einzelmaßnahmen wie die Frage des Wohnortes nachzudenken.“ÖVP und SPÖ streiten seit Wochen über eine Reform der Mindestsicherung, allerdings gibt es auch innerhalb der ÖVP unterschiedliche Meinungen.
So drängen in der ÖVP vor allem Niederösterreich und Oberösterreich auf Verschärfungen, während die westlichen Bundesländer eher auf der Bremse stehen.
AMS will Kompetenzprüfung
Die SPÖ hält es für falsch, die Debatte über die Mindestsicherung mit einer Wohnsitzauflage zu verknüpfen. Schließlich könne die Residenzpflicht auch unabhängig von der Höhe der Mindestsicherung eingeführt werden, heißt es. Außerdem mutmaßen SPÖ-Kreise, dass viele ÖVP-geführte Bundesländer über den Trend nicht unglücklich seien, dass so viele anerkannte Flüchtlinge in das rot-grün regierte Wien ziehen.
AMS-Vorstand Johannes Kopf sagt dazu: „Es gibt einige gute Gründe für und einige gute Gründe gegen eine Residenzpflicht.“Bevor eine Residenzpflicht eingeführt werde, müssten einige Voraussetzungen geklärt werden. So hält es Kopf für sinnvoll, schon zu Beginn des Asylverfahrens mittels einer Grob-Kompetenzerhebung eine möglichst ausbildungsadäquate Verteilung (nach Arbeitskräftebedarf ) der Geflüchteten auf die Bundesländer durchzuführen. So soll beispielsweise ein Koch in einer Tourismusregion untergebracht werden. „Eine Residenzpflicht ohne Berücksichtigung der Qualifikation erscheint mir jedenfalls arbeitsmarktpolitisch unsinnig“, so Kopf.
Wien. Die hitzigen politischen Diskussionen um die anstehende Reform der Mindestsicherung ziehen sich bis in den Hochsommer. Die Vorschläge der ÖVP umfassen eine Deckelung für Großfamilien, eine Kürzung für Flüchtlinge, Anreize für jene, die schnell wieder ins Berufsleben einsteigen wollen – sowie Kürzungen bei denjenigen, die sich angeblich in die viel zitierte „soziale Hängematte“legen.
Gegen viele dieser Änderungswünsche wehrt sich die SPÖ – allen voran Wiens Sozialstadträtin, Sonja Wehsely. Ihre Argumente: Einerseits gebe es bereits Kürzungen, falls sich jemand dem Arbeitsmarkt verweigere. Zweitens: Nur rund zehn Prozent der Bezieher leben ausschließlich von der Mindestsicherung – 77 Prozent seien Aufstocker, die zum Einkommen etwas aufbezahlt bekommen. Im Schnitt sind das 310 Euro. Die restlichen 13 Prozent der Leistungen aus der Mindestsicherung verteilen sich auf Mietbeihilfe, Dauerleistung und Hilfe in besonderen Lebenslagen. Aus einer der „Presse“vorliegenden Beantwortung einer ÖVPAnfrage an Wehsely geht nun her- vor, woraus sich diese Einkommen der Aufstocker generieren.
Im Zeitraum vom 1. Jänner bis 31. März 2016 haben 115.326 Personen Ergänzungsleistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung bezogen. Davon erhielten 7886 auch Arbeitslosengeld und 30.210 Notstandshilfe. Diese Personen sind prinzipiell arbeitsfähig. Mit 33 Prozent war das im ersten Quartal die größte Gruppe der Aufstocker – im Jahr 2015 waren es sogar 39,7 Prozent. Die zweitgrößte Gruppe (60.918 Personen) bezog im ersten Quartal Leistungen aus Pensionen, Kinderbetreuungsgeld, Unterhalt, Alimente oder RehaGeld. Rund ein Drittel dieser Bezieher sind laut Wehsely Kinder – und stünden dem Arbeitsmarkt darum nicht zur Verfügung. Anfang 2018 macht diese Gruppe 52,8 Prozent der Aufstocker aus, 2015 waren es 37,14 Prozent.
Acht Prozent „Working Poor“
Einkommen aus selbstständiger oder unselbstständiger Arbeit haben tatsächlich nur die wenigsten. Vom Jänner bis April 2016 waren das 14,1 Prozent – 2015 immerhin 23,16 Prozent. Österreichweit lässt sich ein ähnlicher Trend ablesen: Wie das „Profil“berichtete, fielen 2014 nur acht Prozent in die Gruppe der Working Poor.
Der Wiener ÖVP-Chef, Gernot Blümel, sieht seinen Kurs in Sachen Mindestsicherung durch diese Zahlen bestätigt: „Die Mindestsicherung muss zu dem werden, wofür sie gedacht war: zur kurzfristigen Überbrückungshilfe zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Derzeit passiere aber genau das Gegenteil: „Die Mindestsicherung ist zum arbeitslosen Grundeinkommen verkommen.“
Wien. Die Zahl der Arbeitslosen steigt, doch gleichzeitig suchen viele Firmen nach Mitarbeitern. Ende Juli gab es beim Arbeitsmarktservice (AMS) rund 43.800 gemeldete offene Stellen. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 40,8 Prozent. Doch laut Auskunft der Wirtschaftskammer will nicht jeder Arbeitslose tatsächlich arbeiten. Daher haben die Kammern in Oberösterreich und in Tirol eine Aktion scharf gestartet. Sie rufen die Unternehmen auf, arbeitsunwillige Arbeitslose zu melden. Die Wirtschaftskammern leiten die Anga- ben an das Arbeitsmarktservice weiter. Dort werden die Fälle überprüft. Falls sich die Vorwürfe bewahrheiten, soll das Arbeitslosengeld reduziert oder gestrichen werden. „Das Feedback der Unternehmen auf unsere Aktion ist positiv“, sagte Ursula Krepp am Montag der „Presse“. Krepp ist die Vertreterin der Wirtschaftskammer Oberösterreich im Direktorium des Arbeitsmarktservice Oberösterreich.
Krepp ist als Reinigungsunternehmerin tätig. „Gerade im Sommer ist es für uns unmöglich, neue Mitarbeiter zu finden. Wir müssen sogar Aufträge ablehnen“, so Krepp. Einzelne Arbeitslose sagen, ihnen sei die Arbeit zu anstrengend oder sie wollen nicht am Samstag arbeiten. Dabei werden in der Reinigungsbranche gerade Jobs für Geringqualifizierte angeboten.
Wird das System ausgenutzt?
Viele freie Stellen gibt es auch in Tiroler Tourismusbetrieben. Die Bezirksstelle der Wirtschaftskammer in Kufstein hat daher einen Newsletter an ihre Mitglieder ausgeschickt. Denn im Bezirk Kufstein gibt es über 700 offene Stellen, aber gleichzeitig über 2000 Arbeitslose.
„Wir wollen uns, auch im Interesse der großen Mehrheit der redlichen Arbeitssuchenden, nicht da- mit abfinden, dass einzelne Arbeitslose das System ausnützen, grund- beziehungsweise sanktionslos gute Jobs ablehnen und lieber im Status der Arbeitslosigkeit/Mindestsicherung verbleiben“, steht im Newsletter. Die Firmen sollen jene Arbeitslose melden, „die sich nur den berühmten ,Stempel‘ abholen beziehungsweise von vornherein gar nicht an einer Arbeitsaufnahme interessiert sind und dies auch mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck bringen“. Mittlerweile haben in Tirol andere Bezirksstellen der Wirtschaftskammer einen ähnlichen Aufruf gestartet.