Neos im (Wind-)Schatten von Griss
Analyse. Kampf der Pinken um Aufmerksamkeit führt zurück zu einer Bürgerbewegung. Parteichef Strolz sieht sich nach der Neuwahl als Partner in einer Dreierkoalition.
Wien. „Sei mutiger“: Kärnten ist in dieser ersten Augustwoche Station der Sommertour der Neos mit der Nationalratsabgeordneten Claudia Gamon als Zugpferd. Es ist eine Aktion wie bei den anderen Parlamentsparteien auch, die die Urlaubszeit nützen wollen, um präsent zu bleiben. Fast vier Jahre nach der Gründung der Neos und drei Jahre nach dem Einzug aus dem Stand ins Hohe Haus hat die pinke Partei mit Chef Matthias Strolz alle Mühe, angesichts der Unzufriedenheit der Wähler nicht ebenfalls als bloß jüngerer Ableger des bröckelnden politischen Systems wahrgenommen zu werden.
Mit demselben Problem schlugen sich bereits die Grünen in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts herum. Keineswegs zufällig hat Strolz bei der Neos-Mitgliederversammlung Ende Juni die Devise ausgegeben, die Neos, mit neun Mandataren im Parlament vertreten, müssten wieder stärker zu einer Bürgerbewegung werden.
Der Neos-Chef nahm dabei Anleihe bei Irmgard Griss, der früheren Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, die es mit Unterstützung der Neos in der ersten Runde der Bundespräsidentenwahl im April auf beachtliche knapp 20 Prozent der Stimmen gebracht hat.
Auch Griss will mit Blick auf eine mögliche Kandidatur bei der nächsten Nationalratswahl keinesfalls als Partei identifiziert werden, sondern sieht ihre Zukunft ebenfalls in einer Bürgerbewegung. Ob in Allianz mit den Neos oder in Konkurrenz, wird sich erst weisen.
Für die Neos sind die Pionierzeiten nach der Nationalratswahl 2013 vorbei. Da reichten schon fast allein die Auftritte von Strolz am Rednerpult im Nationalrat mit weit ausgebreiteten Armen und dem Mantra, man müsse den Kindern Flügel verleihen, für mediale Aufmerksamkeit. Die Mitgliederversammlung der Neos im Juni ging hingegen trotz eines Auftritts des Parteichefs im Batman-Kostüm gegen den gleichzeitigen SPÖBundesparteitag mit der Kür von Christian Kern völlig unter.
Schellhorn als Paradefall
Aktionismus allein ist für die auf Bundesebene etablierte Partei zu wenig. Auf Landesebene wurde nur in Wien mit der umtriebigen Beate Meinl-Reisinger und in der Heimat des gebürtigen Vorarlbergers Strolz der Einzug in den Landtag geschafft. Worum es den Neos als liberale, wirtschaftsaffine Gruppierung mit viel Skepsis gegenüber dem Staat und seinen bürokratischen Auswüchsen geht, das hat im vergangenen halben Jahr der Salzbur- ger Hotelier und Parlamentarier Sepp Schellhorn beispielhaft vorgemacht. In viel beachteten „Presse“-Berichten listete Schellhorn auf, warum Flüchtlinge, statt in der Hotelerie zu arbeiten, lieber in Wien Mindestsicherung kassieren.
Europa wird zum Klotz am Bein
Die Neos mit Obmann Strolz haben es allerdings seit Monaten mit erschwerten Bedingungen für ihren Kurs zu tun. Schließlich haben sie nie ein Hehl daraus gemacht, dass eine klare proeuropäische Linie zu den fixen Konstanten ihrer Politik gehört. Das EU-Europa hat jedoch in Österreich spätestens mit seiner Unfähigkeit, eine Lösung für den Zustrom von Flüchtlingen zu finden, weiteren Kredit verspielt. Die Lösung, die Strolz in dieser Misere bisher anzubieten hatte? Konzentration auf ein Kerneuropa – in seiner Sprache, damit es positiver und offensiver klingt, eine „Gruppe der Entschlossenen“. Gleichzeitig sollten an den gemeinsam geschützten Außengrenzen Aufnahmezentren für Flüchtlinge geschaffen werden, die dann anders als bisher auf die entschlossenen EUStaaten verteilt werden.
Das ist dann schon ziemlich nahe an dem, was die „Systemparteien“SPÖ und ÖVP als Ausweg propagieren: die bessere Sicherung der EU-Außengrenzen und Zuteilung nach Flüchtlingsquoten.
Die Neos hoffen dennoch darauf, bei Neuwahlen von der Frustration der Bürger über die Regierenden zu profitieren. Das Kalkül dahinter: SPÖ und ÖVP schaffen bei der nächsten Wahl nicht einmal zusammen eine Mehrheit im Nationalrat, wollen aber, um die FPÖ mit Heinz-Christian Strache als Bundeskanzler zu verhindern, eine Dreierkoalition als Alternative schmieden. Für diesen Fall halten sich die Neos mit ihrem Obmann Strolz bereit. Das Risiko dabei: Selbst die Unterstützung der Neos könnte dafür zu wenig sein, und die Grünen warten schon länger genau auf ein solches Szenario.