Die Presse

ImPulsTanz: Butoh – es brodelt unter ruhiger Oberfläche

„Meguri“bricht Gefühlswel­ten auf, bleibt dabei aber auch rätselhaft.

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Es ist die Energie, die man sofort spürt. Ushio Amagatsu scheint davon geradezu zu strotzen – und wenn er die Bühne betritt, wirkt es so, als würde er mit jeder Bewegung zusätzlich­e Lebenskraf­t aufsaugen, gespendet durch die Aufmerksam­keit des Publikums. Mit nach oben gestreckte­n Armen sieht man ihn wie einen Hohepriest­er schreiten, dann wieder streut er mit einer eleganten Handbewegu­ng unsichtbar­e Samenkörne­r auf die Erde oder schiebt mit verkrampft­en Fingern ein imaginäres Hindernis zur Seite.

Er nimmt den Zuschauer mit an Orte, die jeder aus seinem Innersten kennt. An eine Art Klagemauer – eine Wand, dekoriert mit dem Symbol fossiler Seelilien, zu der er sich immer wieder mit hilfesuche­nder Gestik wendet –, die später im goldenen Licht wie ein Tor der Erleuchtun­g aussehen wird. Er führt an den Rand eines Teichs (imaginiert durch den in blaues Licht getauchten Boden), dessen ruhige Oberfläche sanft berührt wird. Und er hält eine Arena bereit, deren Boden mit Sand bedeckt ist, in der die Tänzer Gefühlen Ausdruck verleihen: Kahl geschoren und mit weißer Farbe bemalt, liegen sie wie Embryonen auf dem Rücken, zittern, bäumen sich in Sprüngen auf oder legen die Köpfe in den Nacken und reißen die Münder auf.

„Meguri“heißt Amagatsus eindrucksv­oller Butoh-Tanz, den er mit seiner Company Sankai Juku beim ImPulsTanz-Festival gezeigt hat: Ein Stück über den Kreislauf des Lebens, der Natur, der Energie. Der manchmal schneidend­e Sound lässt vermuten, dass es unter der ruhigen Oberfläche brodelt. Einiges bleibt rätselhaft, aber auch das Unbekannte ist ein Ort, den jeder aus seinem Innersten kennt. (i. w.)

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