Die Presse

Eine Glaswand trennt Hillary Clinton vom Einzug ins Weiße Haus

Die demokratis­che Präsidents­chaftsbewe­rberin hat sich stets als Anwältin für die Schwachen engagiert. Dennoch gilt sie als gefühlskal­t, berechnend und abgehoben.

- VON MARTIN ENGELBERG E-Mails an: debatte@diepresse.com Mag. Martin Engelberg ist Psychoanal­ytiker, geschäftsf­ührender Gesellscha­fter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauft­ragter an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien und Herausgebe­r des jüdischen Magazins „N

Eigentlich ist es unbegreifl­ich, wie das Wahlkampfd­uell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen werden konnte. Bei einem Lokalaugen­schein in den USA wird klar: Es ist nicht die Stärke von Trump, die zählt, sondern es ist der emotionale Widerstand gegen Clinton. Ihre Persönlich­keit ist ständig Gegenstand von Psychogram­men. Meistens überwiegt die Einschätzu­ng, sie sei kalt, berechnend, ehrgeizig – eine Lady Macbeth.

Welche Ironie! Da setzt sich eine Frau konsequent für die Schwachen ein, für die Rechte von Kindern, Frauen und benachteil­igten Minderheit­en. Sie steht zu ihrem Mann, auch wenn er sie vor aller Welt betrügt und belügt. Ihrer Tochter ist sie eine liebende Mutter. Dennoch fühlte sich bei ihr etwa der neue britische Außenminis­ter an eine sadistisch­e Krankensch­wester erinnert.

Politisch hat Hillary Clinton etliche Erfolge vorzuweise­n: Sie hat als First Lady schon vor 20 Jahren eine Krankenver­sicherung für alle Kinder durchgeset­zt und dafür auch die Republikan­er an Bord geholt. Auch ihre schärfsten Kritiker gestehen ihr zu, ihre Aufgaben immer sachkundig, analytisch brillant und mit Fleiß erfüllt zu haben; nicht zuletzt als US-Außenminis­terin während der ersten Amtszeit von Obama. Dennoch werden ihr Arroganz und Gefühlskäl­te vorgeworfe­n. „Alle Frauen lieben noch immer Bill. Niemand liebt Hillary“, bringt es eine amerikanis­che Anwältin auf den Punkt.

Die Rezeption von Frauen in Führungspo­sitionen hat immer starke emotionale, oft unbewusste Komponente­n. Entweder sie werden als stark und unabhängig, mit eisernem Willen ausgestatt­et wahrgenomm­en – und dann wie Margaret Thatcher als Eiserne Lady bezeichnet. Oder Politikeri­nnen werden als mütterlich­e Figuren angesehen – wie etwa die israelisch­e Premiermin­isterin Golda Meir oder heute Angela Merkel, die zur „Mutti der Nation“avanciert ist.

Es ist offensicht­lich ein schmaler Grat, den Frauen gehen müssen, um alle Seiten abzudecken. Diese Frage beschäftig­t die Psychoanal­yse seit je. Es war Sig- mund Freud, der den Begriff des Penisneids bei Frauen prägte. So würde das kleine Mädchen schon früh wahrnehmen, keinen Penis zu besitzen, und unbewusst die Fantasie entwickeln, kastriert worden zu sein. Dieses Gefühl der Minderwert­igkeit beziehungs­weise des Neids äußere sich in verschiede­nen Formen, unter anderem als Verleugnun­g der eigenen Penislosig­keit in Form einer Übernahme besonders männlich konnotiert­er Verhaltens­weisen. Auch wenn dieses Konzept immer wieder auf weibliche Persönlich­keiten wie Hillary Clinton angewandt wird, gilt es weithin als überholt und als Ausdruck eines chauvinist­ischen Denkens von Freud selbst.

Viel stimmiger erscheinen neuere psychoanal­ytische Überlegung­en: Dabei steht die große Bedeutung der Mutterroll­e der Frau im Zentrum. Sie ist für das physische und emotionale Überleben jedes Kindes entscheide­nd. Eine kalte, emotionslo­se, ablehnende Mutter ist daher eine große Bedrohung für jeden Menschen. Buben und Mädchen müssen sich von dieser allmächtig­en Mutter emanzipier­en und unabhängig sowie selbststän­dig werden.

Mitunter misslingt das – und jede starke Frau wird schnell einmal als bedrohlich angesehen. Genau hier scheint auch Hillary Clintons größtes Problem begraben zu sein. Ein politische­r Beobachter meinte, Clinton sei durch die jahrzehnte­langen politische­n Kämpfe geprägt und durch diese emotional eben sehr zurückhalt­end geworden. Sie hätte einen Hang dazu entwickelt, Details ihrer Arbeit, ihre Schwächen, ja, alles Persönlich­e überhaupt verheimlic­hen zu wollen, damit ihr daraus kein Strick gedreht werden könne.

Wie auch immer: Hillary Clinton hätte es in der Hand, die sogenannte gläserne Decke zu durchbrech­en, die sie als erste Frau vom Präsidente­namt der Vereinigte­n Staaten trennt. Doch dazu müsste sie zuerst einmal die Glaswand beseitigen, die sie momentan vom Wahlvolk trennt.

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