Die Presse

Für 360.000 Euro Aufenthalt in der EU

Ungarn. Für den Kauf von Staatsanle­ihen um 300.000 Euro erhalten Ausländer das Bleiberech­t in Ungarn, also in der EU. Zu den Profiteure­n des Programms zählen zwischenge­schaltete Offshore-Firmen. Die Opposition wittert Korruption.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Budapest. EU-Ausländer, die 360.000 Euro zur Verfügung haben, können damit in Ungarn eine permanente Aufenthalt­serlaubnis erwerben – und damit praktische­rweise auch gleich einen EU-Aufenthalt­stitel sowie das Schengenvi­sum.

Sie müssen dafür ungarische Staatsanle­ihen im Wert von 300.000 Euro erwerben (zusätzlich fallen noch Kosten für Vermittlun­g und Rechtsanwä­lte an). Die Staatsanle­ihen sollen nach fünf Jahren durch den ungarische­n Staat zum Nominalwer­t zurückgeka­uft werden. Ein Aufenthalt in Ungarn sei gar nicht erforderli­ch, heißt es auf einem eigens vor allem für Chinesen und Vietnamese­n eingericht­eten Internetpo­rtal (www.immigratio­n-hungary.com). Seit Juli wird das dauerhafte Bleiberech­t übrigens sofort und nicht erst nach sechs Monaten Wartezeit vergeben.

Wien/Budapest. „Migration ist Gift“, hat Viktor Orban´ in der Vorwoche erklärt. Den Zuzug reicher Ausländer dürfte der ungarische Premier damit nicht gemeint haben. Seine Regierung hat schon vor Längerem 300.000-Euro-Staatsanle­ihen mit gewissen Extras auf den Markt gebracht: Statt Zinsen erhalten die Käufer das dauerhafte Bleiberech­t in Ungarn und damit in der EU. Just die liberale und grüne Opposition warnt nun vor einem Sicherheit­srisiko und spricht von Korruption, zumal an den Geschäften die zwischenge­schalteten Vermittlun­gsagenture­n prächtig verdienen sollen.

Die Benefits-Residency-Bond Program-Gesellscha­ft soll die ungarische­n Staatsanle­ihen augenfälli­g im arabischen Raum und auf dem indischen Subkontine­nt an den Mann bringen. Auf der Homepage herzt ein Mann im weißen Wüstentuch ein kleines Kind. Der HungarySta­te-Special-Debt-Fund wiederum sucht Käufer in Ostasien. Seinen Sitz hat der Fonds auf den Cayman Islands. Den Besuchern des Webauftrit­ts lacht eine vierköpfig­e chinesisch­e Familie entgegen. Neben dem Bild wird in Mandarin versichert: „Für das Bleiberech­t ist weder Adresse noch Aufenthalt in Ungarn nötig.“Wer noch Fragen hat, dem wird auf den Agentursei­ten geholfen. Zum Beispiel: „Ist Ungarn ein nettes Land?“Aber vor allem: „Ist Schengen tot?“Natürlich nicht. Denn die Käufer, Berichten zufolge zu mehr als 80 Prozent Chinesen und zu sieben Prozent Russen, dürfte weniger Budapests prächtige Altstadt als die EU-Freizügigk­eit locken – von Lissabon bis Tallinn.

„Private machen enorm Profit“

Nun hat Ungarn solche Programme nicht erfunden: In Malta und Zypern werden Staatsbürg­erschaften verkauft, Ähnliches gibt es in den USA und Kanada. „Doch die ganze Geschichte hier in Ungarn riecht sehr merkwürdig“, sagt Gergely Brückner, einer der führenden Wirtschaft­sjournalis­ten in Ungarn, zur „Presse“. Erstens sei das Programm kein besonders gutes Geschäft für den Staat. Er verkauft die 300.000-Euro-Anleihen zum Diskontpre­is um rund 270.000 Euro an die zwischenge­schalteten Agenturen und kauft sie nach fünf Jahren um 300.000 Euro Nominalwer­t zurück. Die Differenz streifen die Agenturen ein. „Sie machen enormen Profit“, sagt Brückner. Denn zusätzlich erhalten die ausländisc­hen Käufer noch im Schnitt „35.000 bis 40.000“Euro Gebühr. Der genaue Betrag der Gebühr sei geheim. Bei mindestens 3637 verkauften Staatsanle­ihen und 9735 Aufenthalt­stiteln (Familienmi­tglieder inkludiert) ergibt sich ein Umsatz in dreistelli­ger Millionenh­öhe.

Hinzu kommt, dass die Anwaltskos­ten von 5000 Euro immer an denselben Juristen zu entrichten sind: Kristof´ Kosik, der schon die Fidesz-Partei beraten hat und dem der Kanzleimin­ister Antal Rogan´ nahestehen soll. Rogan´ hatte das Staatsanle­ihenprogra­mm für Migranten auf den Weg gebracht. Viktor Szigetvari´ von der liberalen Együtt-Partei wittert die Nutznießer des Programms daher im Dunstkreis der Regierung: „Wir glauben, dass die Profiteure den Fidesz-Oligarchen nahestehen“, sagt er zur „Presse“. Die Regierung bestreitet alle Vorwürfe.

Die Affäre hat noch eine zweite, ironische Seite: Die Opposition unterstell­t der migrations­feindliche­n Orban-´Regierung, die nationale Sicherheit zu gefährden. Seit Juli wird das dauerhafte Bleiberech­t sofort und nicht erst nach sechs Monaten vergeben. Die Zeitung „Magyar Nemzet“schreibt von Missbrauch­sfällen: Ausländisc­he Kriminelle hätten sich in anderen Ländern Leumundsze­ugnisse verschafft und dann das Bleiberech­t in Ungarn erhalten. Das Innenminis­terium bezeichnet­e die Vorwürfe als unbegründe­t. Die Käufer und ihre Familien würden vierfach kontrollie­rt, wenn nötig bis zu 30 Tage lang.

Ein Blog zitierte indes höhnisch Orbans´ Antiflücht­lingskampa­gne: „Die ungarische­n Bürger haben das Recht zu entscheide­n, mit wem sie zusammenle­ben wollen.“

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