Die Presse

Ankara tobt über Redeverbot für Erdog˘an

Diplomatie. Weil der türkische Präsident sich nicht per Video an Anhänger in Köln wenden durfte, bestellt die Regierung in Ankara Deutschlan­ds Botschafte­r ein. Zugleich kommt erste Selbstkrit­ik nach Verhaftung­swelle.

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Köln/Ankara. Der Kurznachri­chtendiens­t Twitter war ein bevorzugte­s Medium der türkischen Regierungs­vertreter, die ihrem Zorn auf Deutschlan­d öffentlich freien Lauf ließen. Eine „massive demokratis­che und gesetzgebe­rische Schande“sei es, dass Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan˘ sich am Wochenende nicht via Video-Liveschalt­ung an eine türkische Großdemons­tration in Köln hatte wenden dürfen, schimpfte Justizmini­ster Bekir Bozdag.˘ Ankaras EUMinister, Ömer C¸elik, sprach in seiner Kurznachri­cht von einer „Abweichung von der Meinungsfr­eiheit und Demokratie“.

Am Sonntag hatten mehrere Zehntausen­d Deutschtür­ken mit einer Kundgebung an der Deutzer Werft in Köln für Erdogan˘ demonstrie­rt. Die Polizei sprach von 40.000 Teilnehmer­n. Eigentlich hatte sich der umstritten­e Präsident live zuschalten wollen, das Bundesverf­assungsger­icht hatte dies aber einstimmig untersagt. Deshalb wurde bei der – friedlich verlaufene­n – Demonstrat­ion eine Botschaft Erdogans˘ verlesen.

Bei scharfer Kritik über die sozialen Medien wollte es die Regierung in Ankara aber keinesfall­s belassen. Das türkische Außenminis­terium bestellte am Montag deshalb den deutschen Vertreter in Ankara ein – in der Diplomatie ein üblicher Weg, um Protest auszudrück­en. Weil Berlins Botschafte­r, Martin Erdmann, derzeit in Urlaub weilt, machte sich dessen Stellvertr­eter, Robert Dölger, auf den Weg ins Ministeriu­m in Ankara, um sich die Rüge abzuholen.

„Schwere Diskrimini­erung“

„Von nun an wäre es absolut inakzeptab­el, würde Deutschlan­d gegenüber der Türkei Demokratie, Rechtsstaa­tlichkeit, Menschenre­chte und Freiheiten auch nur erwähnen“, twitterte Minister Bozdag.˘ Türken in Deutschlan­d seien seit Langem schwerer Diskrimini­erung bei Bildung, Arbeit, Menschenre­chten ausgesetzt. Das setze sich nun fort. Sowohl Erdogans˘ Sprecher Ibrahim Kalin als auch Vizepremie­r Numan Kurtulmus¸ nannten das Verbot „inakzeptab­el“.

Der Streit über die Demonstrat­ion ist ein weiterer Tiefpunkt in den ohnehin stark angespannt­en deutsch-türkischen Beziehunge­n. Das scharfe Vorgehen Ankaras nach dem gescheiter­ten Putsch gegen mutmaßlich­e Erdogan-˘Gegner, allen voran die Anhänger des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen, erschwert die Sache zusätzlich. Mehr als 18.000 Menschen wurden in den vergangene­n zwei Wochen festgenomm­en, Zehntausen­de Mitarbeite­r der Behörden entlassen. In der Nacht auf Montag vermeldete das Innenminis­terium dann die Verhaftung von elf Soldaten, die angeblich das Hotel Erdogans˘ in Marmaris in der Nacht des Putsches angegriffe­n hatten.

Mittlerwei­le werden aber auch in der Regierung Zweifel laut. Premier Binali Yıldırım räumte am Montag mögliche Fehler bei der Entlassung­s- und Verhaftung­swelle ein: Einige Verdächtig­e seien „zweifellos“Opfer eines „unfairen Verfahrens“geworden. Zwischen Schuldigen und Unschuldig­en, versichert­e er aber, werde unterschie­den. (ag.)

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