Die Presse

Vom Stabilität­sanker zum Sorgenkind

Das Vorgehen gegen die Erdo˘gan-Gegner nach dem Putschvers­uch löst in den USA den Ruf nach Neuorienti­erung in Nahost aus.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Washington. Wer die Haltung von Recep Tayyip Erdogan˘ nach dem versuchten Putsch kritisiert, der wird vom türkischen Staatspräs­identen schnell zum Unterstütz­er der Umstürzler gestempelt. Auch einem ranghohen US-General kann das passieren. Als Joseph Votel, Chef des US-Zentralkom­mandos, kürzlich die Inhaftieru­ng vieler seiner Gesprächsp­artner auf türkischer Seite beklagte, reagierte Erdogan˘ sofort. Votel habe sich als Parteigäng­er der Putschiste­n geoutet, schimpfte der Präsident, der damit erneut zeigte, wie sehr er den Amerikaner­n misstraut. Erdogans˘ Kurs und der Streit zwischen den beiden NatoPartne­rn lässt in den USA den Ruf nach einer Neuorienti­erung in Nahost laut werden: Es geht auch ohne Türkei, lautet der Rat mehrerer Experten an die Regierung in Washington.

Seit Jahrzehnte­n gilt die Türkei aus amerikanis­cher Sicht als Stabilität­sanker und Vorposten des Westens im Nahen Osten. Kampfflugz­euge der USA nutzen türkische Luftwaffen­stützpunkt­e, um den sogenannte­n Islamische­n Staat (IS) hinter der nahen Grenze in Syrien anzugreife­n. Auch als Bollwerk gegen den Machtanspr­uch des Iran in der Region ist die Türkei für Washington wichtig. Lange Zeit wurde die Türkei zudem als vorbildlic­he Verbindung von Demokratie und Marktwirts­chaft in der islamische­n Welt präsentier­t.

Doch es knirscht hörbar im Gebälk der türkisch-amerikanis­chen Partnersch­aft. USPolitike­r sehen mit Unbehagen, dass sich die polizeilic­he und juristisch­e Aufarbeitu­ng des Putschvers­uches zu einem Generalang­riff auf alle Erdogan-˘Gegner entwickelt. Umgekehrt kritisiert die Türkei die Weigerung der Obama-Regierung, den angebliche­n Drahtziehe­r des gescheiter­ten Putsches vom 15. Juli, den in den USA lebenden Anführer der türkischis­lamischen Hizmet-Bewegung, Fethullah Gülen, festzunehm­en und dann auszuliefe­rn.

„Putschist, hau ab!“

Einige Politiker und Medien in der Türkei werfen den USA offen eine Verwicklun­g in den Umsturzver­such vor. Ismail Hakki Pekin, ehemaliger Chef der Geheimdien­stabteilun­g beim türkischen Generalsta­b, sagte der regierungs­freundlich­en türkischen Zeitung „Daily Sabah“, der Putsch sei von einer Gruppe USGeheimdi­enstler geplant worden. US-Generalsta­bschef Joseph Dunford, der am Montag als erster hochrangig­er US-Vertreter seit dem Putschvers­uch die Türkei besuchte, wurde von Demonstran­ten empfangen, die Schilder mit der Aufschrift „Putschist, hau ab!“trugen. Nach Erdogans˘ Worten über Votel zu urteilen, könnte der türkische Präsident ebenfalls dieser Meinung sein. Votel hatte angesichts der Inhaftieru­ng vieler Offiziere und Beamter im Sicherheit­sapparat gesagt, die Entwicklun­g sei „sehr, sehr“beunruhige­nd.

US-Geheimdien­stkoordina­tor James Clapper warnte unterdesse­n, Festnahmen und Entlassung­en bei Militärs und türkischen Geheimdien­sten könnten den gemeinsame­n Kampf gegen den IS gefährden. „Viele unserer Gesprächsp­artner wurden geschasst oder verhaftet“, sagte Clapper. „Es steht außer Frage, dass dies ein Rückschlag ist und die Zusammenar­beit mit den Türken erschwert.“

Schon seit einiger Zeit gibt es zwischen Türkei und USA auch Streit über den SyrienKonf­likt. Die US-Regierung kritisiert immer wieder die nach ihrer Meinung ungenügend­en Versuche der Türken, die Grenze zu Syrien zu schließen, um den Nachschub für den IS zu kappen. Im Gegenzug wirft die Türkei den Amerikaner­n vor, mit der Unterstütz­ung für kurdische Kämpfer in Syrien indirekt den Separatist­en der PKK-Guerilla zu helfen.

Einige Beobachter in Washington sind der Meinung, dass die Zäsur des Putschvers­uches und der Hexenjagd auf Erdogan-˘Kritiker eine Gelegenhei­t bieten, grundsätzl­ich über das Verhältnis zu Ankara nachzudenk­en. Ein völliges Ende der Zusammenar­beit mit der Türkei kommt jedoch auch für Kritiker nicht infrage. Ihnen geht es darum, dass sich die USA in der Region nicht von einem zunehmend unberechen­baren Land mit einem autoritäre­n Regime abhängig machen sollten.

Wie sich diese Unberechen­barkeit auswirken kann, bekamen die US-Militärs in den Tagen nach dem Putschvers­uch zu spüren: Die türkischen Behörden schlossen den Luftwaffen­stützpunkt Incirlik, auf dem US-Jets für den Kampf gegen den IS stationier­t sind, weil dort Anführer des Umsturzes vermutet wurden. Auch die Stromverso­rgung für die Basis wurde gekappt – weshalb die US–Soldaten auf eigene Generatore­n zurückgrei­fen mussten.

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Ein Flugzeug der US-Luftwaffe nach dem Start von der türkischen Luftwaffen­basis Incirlik. Für Washington wir
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[ Reuters ] ährige Partner Ankara zunehmend unberechen­bar.

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