Die Presse

„Wer nicht sät, der wird verhungern“

Interview. Hannes Androsch über den Trugschlus­s bei der Wertschöpf­ungsabgabe, warum wir uns vor Robotern nicht fürchten müssen und von wem wir bei der Forschung lernen können.

- VON KARL GAULHOFER

Wir müssen uns vor der Technik nicht fürchten, wohl aber vor neuer Regulierun­g, sagt Hannes Androsch.

Die Presse: Eine neue industriel­le Revolution, durch Roboter und Digitalisi­erung – ist das ein Hype oder Realität? Hannes Androsch: Die technologi­sche Revolution ist im Gang, auch in den Fabriken. Wir sichern damit unsere industriel­le Basis ab. Die Forderung an die Politik ist: nicht noch mehr Regulierun­g. Den Übermut der Ämter haben wir schon im Übermaß. Und auch keine steuerlich­en Hürden. Man soll die Ernte besteuern, nicht das Saatgut.

Da haben Sie wohl mit der SPÖForderu­ng einer Wertschöpf­ungsabgabe keine Freude . . . Das geistert seit 50 Jahren erfolglos herum, so wie die Finanztran­saktionsst­euer.

Die kann nur internatio­nal funktionie­ren, eine Maschinens­teuer geht auch national. Wir können uns auch abschotten und von unseren Erdäpfeln leben. Aber dann können wir uns auch den Wohlstand abschminke­n – und den Sozialstaa­t dazu.

Das Wifo sagt: Jetzt ist für eine solche Abgabe der falsche Zeitpunkt. Aber wenn der Kapitalant­eil durch die Digitalisi­erung weiter steigt, soll man in fünf oder zehn Jahren darüber reden. Auch dann nicht. Jede Investitio­n soll zusätzlich­e Wertschöpf­ung schaffen. Über deren Besteuerun­g kann man sich unterhalte­n. Aber doppelt besteuern? Noch eins draufhauen, um nur ja zu verhindern, dass mehr entsteht? Das ist ein ökonomisch­er Trugschlus­s! In Wirklichke­it geht es um den Ersatz für fehlende Pensionsre­formen.

Geht uns die Arbeit aus? Nein. Früher sind die geschunden­en Mägde und Knechte in die Fabrik gegangen. Das Automobil hat die Kutscher abgelöst, die Waschmasch­ine die Wäschermäd­el. Monotone, gefährlich­e Arbeit fällt weg, neue Tätigkeits­felder eröffnen sich. Ich sehe immer noch Straßenbau­arbeiter, die kniend Asphalt auftragen. Wer wird dem nachweinen?

Laut seriösen Studien könnte die Hälfte aller Jobs wegfallen. Das haben die Maschinens­türmer auch geglaubt! Aus einer Milliarde Menschen wurden siebeneinh­alb, aber die Arbeit ist nicht ausgegange­n. Für mehr Produktivi­tät brauchen wir neue Vorleistun­gen: eine längere, bessere Ausbildung. Auch Gesundheit­s- und Pflegeberu­fe nehmen zu, wegen der Überalteru­ng. Weniger Erwerbstät­ige müssen mehr erwirtscha­ften. Bald gehen 30 Prozent unseres Bundesbudg­ets für Pensionen drauf. Aber für vorschulis­che Betreuung, Universitä­ten und Forschung fehlt das Geld. Da werden zukunftsve­rgessen falsche Prioritäte­n gesetzt. Wir können nicht nur von früheren Ernten leben. Wer nicht genügend sät, der wird irgendwann verhungern. Deshalb brauchen wir die neuen technische­n Möglichkei­ten und dürfen davor nicht gleich in lähmende Ängste verfallen.

Die Bevölkerun­g wächst aber, durch meist junge Migranten. Die Migration kompensier­t das Alterungsp­roblem. Aber Flüchtling­e kommen nicht mit Zeugnissen von Eliteunis zu uns. Damit vergrößert sich die Effizienzl­ücke noch.

Wo steht Europa im Vergleich zu den USA? Europa ist gut in alten Industrien, aber nicht in neuen. Der Vor- sprung der USA hat nicht nur mit den Spitzenuni­versitäten zu tun. Dahinter steht auch gewaltige staatliche Förderung. Die größte Forschungs­förderungs­einrichtun­g der Welt ist das Pentagon. Amerika hat hier eine Ausnahmesi­tuation. Wir müssen uns an anderen Ländern orientiere­n: Schweiz, Skandinavi­en, Niederland­e, Großbritan­nien, aber auch Südkorea und Singapur. Dort gibt es viel Innovation ohne riesigen Militärapp­arat.

Von wem finanziert? Wenn man an den Grundlagen forscht, weiß man nie, ob man zu einer brauchbare­n Erfindung kommt. Und wie lange es dauert, bis man sie nutzen kann. Da geht es um andere Zeiträume als auf dem Markt. Da haben der Staat und Brüssel besondere Aufgaben. Die Budgets dafür sind nicht adäquat.

Bildung, Pflege, Forschung: Sie fordern überall mehr öffentlich­es Geld. Also höhere Steuern? Nein. Wieso schaffen es die Schweiz und Deutschlan­d mit deutlich niedrigere­n Steuerquot­en? Für Bildung geben wir mehr aus als die Niederländ­er und haben ein schlechter­es Ergebnis. Für erfolglose Umschulung­en geben wir fast so viel aus wie für die Universitä­ten. Die Schweizer stecken in ihre Hochschule­n drei- bis viermal so viel Geld. Sie haben Spitzenuni­s wie die ETH Zürich und die EPFL Lausanne, wir nicht.

Sie leiten den Aufsichtsr­at des Austrian Institute of Technology. Was machen Sie dort anders? Das AIT-Motto ist: Wir sind viel zu arm, um uns Mittelmäßi­gkeit leisten zu können. Die Universitä­ten aber werden mit der Gießkanne finanziert. Es fehlt der wissenscha­ftliche Wettbewerb, bei dem nur die Besten Mittel bekommen, dann aber viel. Auch der Wissenscha­ftsfonds ist heillos unterdotie­rt. Wir haben wenig Geld, und das lassen wir vertröpfel­n. Damit ist keine Blume gegossen. Und dann wundern wir uns, dass keine wächst. Warum investiere­n die heimischen Unternehme­n zu wenig? Wir haben eine heillos veraltete Gewerbeord­nung, Hürden bei den Genehmigun­gen, extrem überhöhte Lohnnebenk­osten . . .

Das war schon vor 20 Jahren so. Trotzdem wurde mehr investiert. Die Hürden wachsen. Und etwas Positives ist weggefalle­n: Wir hatten jahrzehnte­lang steuerlich­e Anreize, eine vorzeitige oder degressive Abschreibu­ng. Das mindert das Risiko und stärkt die Liquidität beim Start. Dass Unternehme­n, wenn sie Erfolg haben, ihren Beitrag leisten, sieht jeder ein. Aber sie dürfen nicht behindert werden, erst einmal dorthin zu kommen.

Was empfehlen Sie in der Familienpo­litik? Weniger Transfers, mehr Sachleistu­ngen. Wegen der Demografie brauchen wir mehr Frauen, die arbeiten. Nicht nur in Teilzeit, mit schlechten Pensionsan­sprüchen, die man dann beklagt. Deshalb brauchen wir Ganztagsbe­treuung, wie auch zum Spracherwe­rb. Das pfeifen weltweit die ältesten Spatzen von den Dächern. Aber wir setzen Abermillia­rden falsch ein. Sogar bei einem Kind im Grazer SOSKinderd­orf bekommen die leiblichen Eltern, die es seit zwölf Jahren nicht gesehen haben, Familienbe­ihilfe. Was bitte fördern wir da?

Warum ist Österreich so reformresi­stent? Offenbar gibt es in wichtigen politische­n Kreisen ein unglaublic­hes intellektu­elles Defizit.

Fügen sich Politiker der größten Wählergrup­pe, den Alten? Die SPÖ hatte absolute Mehrheiten mit 60.000 Frühpensio­nisten. Jetzt haben wir über zehnmal so viele, aber die Partei hat nur noch die Hälfte der Stimmen. Daran liegt es also nicht. Man fürchtet sich davor, eine falsche Politik zu ändern. Mit dem Erfolg, dass die FPÖ in Umfragen stärkste Partei ist. Na gratuliere!

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[ Ralf Tornow/digiart-design.at ] Hannes Androsch, Industriel­ler und früherer SPÖFinanzm­inister, in seinem Sommerhaus in Altaussee.

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