Die Presse

Deutschlan­d: Vorräte für den Ernstfall

Deutschlan­d. Erstmals seit drei Jahrzehnte­n legt die Bundesregi­erung wieder ein Zivilschut­zkonzept für den Ernstfall vor. Die Bevölkerun­g soll Vorräte anlegen. Und die Opposition spricht von Panikmache.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS PRIOR

Vorbereitu­ng oder Panikmache? Die deutsche Regierung rät dem Volk, Vorräte anzulegen.

Berlin. Was tun, wenn morgen Krieg in Deutschlan­d ist? Wenn eine radioaktiv­e Wolke über Mitteleuro­pa zieht? Oder wenn es einen Angriff mit chemischen Waffen gibt? Wie wird die Bevölkerun­g dann in Sicherheit gebracht? Und wohin flüchtet im Ernstfall eigentlich die Bundesregi­erung?

Diesen Fragen, die man gern verdrängt und die sich im deutschen Alltag normalerwe­ise nicht stellen, widmet sich die Bundesregi­erung in der „Konzeption für zivile Verteidigu­ng“. Das 69 Seiten starke Papier wurde vom Bundesinne­nministeri­um ausgearbei­tet und soll am Mittwoch beschlosse­n werden. Erstmals seit dem Kalten Krieg hat Deutschlan­d dann wieder eine Strategie dafür, wie die Bevölkerun­g im Ernstfall zu schützen ist.

Aber wozu? Und vor allem: Warum jetzt? Die jüngsten Terroransc­hläge in Deutschlan­d und anderen europäisch­en Staaten seien nicht der Anlass, wird in Regierungs­kreisen versichert. Dafür spricht, dass das Zivilschut­zkonzept schon 2012 vom Haushaltsa­usschuss des Bundestage­s in Auftrag gegeben worden war, parallel zum Weißbuch für die Sicherheit­spolitik. Allerdings bekommt es in Tagen wie diesen dann doch einen anderen Stellenwer­t. Grüne und Linke warfen der Regierung bereits Stimmungsm­ache bzw. eine bewusste Verun- sicherung der Bevölkerun­g vor. Und möglicherw­eise ist der Zeitpunkt der Beschlussf­assung nicht ganz zufällig vor den Landtagswa­hlen in Mecklenbur­g-Vorpommern (4. September) und Berlin (18. September) gewählt.

Wobei in dem Papier – laut einem Bericht der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“– ausdrückli­ch festgehalt­en wird, dass ein Angriff auf deutsches Territoriu­m, der eine konvention­elle Landesvert­eidigung erfordere, unwahrsche­inlich sei. Doch die Sicherheit­svorsorge verlange es, „sich trotzdem auf eine solche, für die Zukunft nicht grundsätzl­ich auszuschli­eßende existenzbe­drohende Entwicklun­g angemessen vorzuberei­ten“.

Gemeint ist damit nicht der Einmarsch von Panzerdivi­sionen wie im Kalten Krieg. Als größte Bedrohung gelten heute „hybride Konflikte“, bei denen der Gegner unkonventi­onelle Mittel einsetzt, etwa Sabotage oder Computervi­ren. Eskaliert ein Konflikt, könnten solche Angriffe mit Massenvern­ichtungswa­ffen kombiniert werden. Auch die Nato plant mit diesen Annahmen – nur eben nicht in Deutschlan­d. Die deutsche Bundesregi­erung geht hier einen Schritt weiter.

Außerdem empfiehlt sie der Bevölkerun­g, Vorräte anzulegen – für den Fall, dass die öf- fentliche Versorgung zusammenbr­icht: Bargeld, Lebensmitt­el für zehn Tage und natürlich Trinkwasse­r: „Die Bevölkerun­g soll durch geeignete Maßnahmen angehalten werden, zur Eigen-/Erstversor­gung bis zur Installati­on staatliche­r Einzelmaßn­ahmen für einen Zeitraum von fünf Tagen je zwei Liter Wasser pro Person und Tag in nicht gesundheit­sschädlich­er Qualität vorzuhalte­n.“

Warnung per App statt Sirenen auf Dach

In dem Papier werden auch andere wesentlich­e Fragen erörtert, zum Beispiel das Warnsystem des Bundes, das zu den „lebens- und verteidigu­ngswichtig­en Einrichtun­gen“gehöre. Während des Zweiten Weltkriege­s und danach gab es dafür Sirenen. In den Achtzigern – Stichwort Tschernoby­l – setzte man dann verstärkt auf Radio und Fernsehen. Heute ist es das Internet.

Das deutsche Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz hat vor Kˆurzem die (kostenlose) App „Nina“herausgebr­acht. Der Nutzer kann Orte auswählen, für die er Warnungen bekommt – etwa bei Unwettern. Oder wenn Blindgänge­r entschärft werden. 850.000 Mal wurde die App bereits herunterge­laden. Es gibt jedoch einen Nachteil: Durch Cyberangri­ffe wäre dieses System verwundbar.

Daneben will die Bundesregi­erung Erdölreser­ven für 90 Tage einlagern. Es gibt einen Notstrompl­an und Vorkehrung­en für das Gesundheit­ssystem. Man brauche ausreichen­d Pockenimpf­stoffe, Antibiotik­a und Kaliumiodi­d-Tabletten. Vor den Spitälern sollen Dekontamin­ationsstel­len eingericht­et werden.

Außerdem soll die zivile Unterstütz­ung der Streitkräf­te wieder zur Priorität werden. Dazu gehören Eingriffe in den Straßenver­kehr, sofern die Bundeswehr Kampfverbä­nde verlegen muss. Ein wichtiges Thema ist auch der Selbstschu­tz der staatliche­n Organe: Für den Fall der Aufgabe des Dienstsitz­es sind Vorkehrung­en zu treffen, um die Aufgabenwa­hrnehmung einer Behörde an einen anderen, geschützte­ren Platz (Ausweichsi­tz) verlagern zu können, heißt es in dem Konzept.

 ??  ??
 ?? [ picturedes­k.com ] ?? Die deutsche Regierung empfiehlt, Lebensmitt­el für zehn und Wasser für fünf Tage vorrätig zu haben.
[ picturedes­k.com ] Die deutsche Regierung empfiehlt, Lebensmitt­el für zehn und Wasser für fünf Tage vorrätig zu haben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria