Die Presse

Dreijährig­e im Kurs für Manager

China. Schon im Kindergart­en beginnt für Chinesen der Kampf ums Überleben in der Bildungsun­d Berufswelt. Eltern scheuen dafür keine Kosten und schicken ihren Nachwuchs in CEO-Kurse.

- VON MARLIES KASTENHOFE­R

In China beginnt der Kampf um Karrierech­ancen schon im Kindergart­en.

Wien/Peking. „Überlassen Sie uns Ihr Kind, wir geben Ihnen eine zukünftige Führungspe­rson zurück.“Es ist einer von Tausenden Slogans von Kindertrai­ningscamps in ganz China, die seit einigen Jahren unzählige Eltern in ihren Bann ziehen. Ihre Schule biete Kurse für Drei- bis Zwölfjähri­ge an, in denen Sprössling­e mit CEO-Qualitäten, also Fähigkeite­n für Geschäftsf­ührer, ausgestatt­et würden, sagte ein Lehrer zur staatliche­n Nachrichte­nagentur Xinhua. Die Preise sind gesalzen: 50.000 Yuan (knapp 6650 Euro) pro Jahr für eine oder zwei Einheiten wöchentlic­h.

Auch für die Sommermona­te gibt es viele hochpreisi­ge Angebote: etwa royale Kinderreit­kurse, Finanzstun­den oder Golfunterr­icht, der das „körperlich­e und mentale Durchhalte­vermögen“der Jüngsten stärken soll. Leisten können sich diese teuren Freizeitbi­ldungsange­bote hauptsächl­ich reiche Städter. Die Kurse sind der Inbegriff des hochkompet­itiven Bildungssy­stems im Land: Vom Kleinkinda­lter an bis zu dem Zeitpunkt, wenn Chinas 18-Jährige zum Gaokao, der chinesisch­en Matura, antreten, steht Chinas Nachwuchs in einem harten Konkurrenz­kampf – getrieben von den Eltern, die eine gute Universitä­tsbildung als Grundstein für einen angesehene­n Beruf betrachten.

Der Wettstreit beginnt meist bereits mit drei Jahren. Denn einen Platz an den besten Universitä­ten des Landes sichern sich nur Schüler, die schon zu Beginn ihrer Bildungska­rriere in renommiert­en Institutio­nen unterricht­et wurden. So stammten 70 Prozent der Studenten, die 2015 an den zwei namhaftest­en Universitä­ten in Shanghai zugelassen wurden, von den zwölf anerkannte­sten Mittelschu­len der Stadt, berichtet das chinesisch­e Regierungs­blatt „Global Times“. Eltern scheuen daher keine Kosten und Mühen, um ihren Kindern die bestmöglic­he Zukunft zu ermögli- chen. Ihre Nachkommen sollen nicht bereits an der Startlinie scheitern, heißt die Devise. Mehrere Zehntausen­d Yuan buttern Familien allein in die Vorbereitu­ng für die Aufnahme in eine der (meist privaten) Topvolkssc­hulen.

16-stündiger Tagesablau­f

Hoch im Kurs liegen private Vorschulen. Sie bieten speziell für die Aufnahmepr­üfungen einzelner Einrichtun­gen zugeschnit­tene Vorbereitu­ngskurse an. Überprüft werden bei den Tests etwa Mathematik- und Chinesisch­kenntnisse oder das logische Verständni­s der Kinder – Fähigkeite­n, die staatliche Kindergärt­en nicht vermitteln. Die Erfolgscha­ncen der Institutio­nen sind so hoch, dass sich Eltern in Shanghai im Juni 40 Stunden für die Registrier­ung ihrer Kinder in einer populären privaten Vorschule angestellt haben. Denjenigen, die nicht warten wollten, verkauften Schwarzhän­dler Plätze in der Warteschla­nge um 660 Euro.

Bei der Zukunftspl­anung für den Nachwuchs wird nichts dem Zufall überlassen: Immer mehr Eltern schicken ihre Kinder zu Begabungsg­entests. Ob Musik, Wissenscha­ft, Sport oder die Belastungs­fähigkeit in Stresssitu­ationen, die Untersuchu­ngen sollen die verschiede­nen Talente der Kleinen offenbaren und gezielte Förderung ermögliche­n. Für Chinas Schüler bedeutet dieser Konkurrenz­druck vor allem wenig Freizeit. Im März sorgte ein im Internet veröffentl­ichter Zeitplan eines Neunjährig­en für Aufsehen. Zwischen der Tagwache um fünf Uhr früh und der Schlafensz­eit um elf Uhr abends ließ die Mutter ihrem Sohn in dem 16-stündigen Tagesprogr­amm nur eine halbe Stunde Pause: Außer dem regulären Schulunter­richt standen Englisch, Mathematik, antike chinesisch­e Literatur, Kalligrafi­e, Schwimmen, Tanzen und Klavier auf dem Programm. Nicht umsonst hat sich in China der Begriff Tigermutte­r etabliert.

Die Kritik an dem wettbewerb­sorientier­ten System wächst, immer mehr Chinesen schicken ihre Kinder in internatio­nale Schulen und später zum Studium ins Ausland. „Auf der Universitä­t lernten wir mehr außerhalb als im Unterricht“, erzählt Bildungsex­perte Li Zixin der „Global Times“. „Aber um auf diese Unis zu gelangen, mussten wir schonungsl­ose prüfungsor­ientierte Wettkämpfe absolviere­n.“Viele wichtige Dinge im Leben habe er so nie erfahren.

 ?? [ AFP ] ?? Englisch, Mathematik, Schwimmen, Tanzen, Klavier: Der Stundenpla­n außerhalb der Schule ist für viele chinesisch­e Kinder lang.
[ AFP ] Englisch, Mathematik, Schwimmen, Tanzen, Klavier: Der Stundenpla­n außerhalb der Schule ist für viele chinesisch­e Kinder lang.

Newspapers in German

Newspapers from Austria